Der Maschinist vs. Bezzera Giulia
FRECHHEIT SIEGT, sagt der Volksmund, und vermutlich liegt er damit gar nicht mal so falsch.
Man darf es nur nicht übertreiben – dann nämlich holt man sich mitunter ein blaues Auge. Luca Bezzera, Chef der gleichnamigen italienischen Espressomaschinen-Schmiede in der inzwischen vierten Generation, kann ein Lied davon singen: Als er nach Beendigung der Lohnfertigung für ECM deren E61-Modelle Technika und Mechanika nur leicht verändert unter eigener Flagge als Gea und Medea feilbot, gab’s prompt die Rote Karte aus Heidelberg. Ob die neue Bezzera Giulia so viel originärer ist, wird sich zeigen. Fest steht: Ein Preis-Leistungs-Knaller ist sie allemal …
Erstkontakt
Mit der BZ07 ist dem 1901 gegründeten Familienunternehmen aus Vergnate bei Mailand, das heute immerhin um die 1.200 Maschinen pro Monat produziert, eines der bestverkauften Siebträgermodelle im Prosumer-Bereich der letzten Jahre geglückt. Ein toll ausgestatteter, bildhübscher Zweikreiser mit Brühkopfheizung für unter 1.000 Euro – da kann kaum jemand widerstehen. Dass die verbaute Elektra-Gruppe technisch relativ einfach gestrickt ist und latent zum Überhitzen neigt, störte vor diesem Hintergrund bestenfalls Akribiker.
Für letztere – und alle erklärten E61-Fans – führte Bezzera in diesem Frühjahr die Giulia ein, die in zwei Modellversionen erhältlich ist: als S mit Wassertank sowie als R mit Festwasseranschluss und Rotationspumpe. Einmal ausgepackt, kann auch die mit satten 24 Kilogramm Kampfgewicht ordentlich schwere Italienerin ihre Verwandtschaft mit den deutlich hochpreisigeren ECM-Modellen kaum verleugnen. Vor allem die als Edelstahlklappe gestaltete Tankabdeckung und die edle Haptik scheinen mehr zu sein als eine bloße Referenz. Warum indes niemand Signore Bezzera davon abhalten konnte, das stimmige Erscheinungsbild durch den reichlich deplatzierten ovalen Netzschalter der BZ-Reihe und eine zumindest gewagte Edelstahl-Reling zu verschandeln, bleibt rätselhaft. Davon abgesehen präsentiert sich die Giulia als ausgesprochene Augenweide. Molto elegante eben.
Von außen nach Innen
Im technischen Bereich findet das hochwertige Exterieur dann auch nahtlos seine interne Entsprechung. Fürwahr, die Giulia macht wenig Kompromisse: Der gesamte Aufbau wirkt solide und durchdacht, minderwertige Ventile oder schludrig verarbeitete Bauteile mit scharfen Kanten sucht man vergeblich. Für eine passgenaue und auch für Novizen ohne große Anlaufschwierigkeiten zu dosierende Heißwasser- bzw. Dampfzufuhr sorgen – wie schon bei den kleinen Schwestern BZ07, BZ09 und BZ10 – schnieke Kippventile, von denen das für den Dampf nach oben einrastet, damit man beim Milchschäumen die Hände frei hat. Selbstverständlich handelt es sich auch bei den beiden mitgelieferten Siebträgern aus verchromtem Messing um massives Gastrogerät, das sofort Lust auf mehr macht. Ein Blick auf die technischen Daten und man weiß: Hier geht gleich mächtig die Post ab! Kein Wunder bei satten zwei Liter Kesselvolumen.
Auch in Sachen Brühgruppe geht Bezzera diesmal keine Kompromisse ein und entschied sich mit der E61 von Faema für den aus dem Profisektor nicht mehr wegzudenkenden Klassiker schlechthin – und damit auch für Gemächlichkeit und Entschleunigung statt für Termindruck und rapide Aufheizzeit. Sogar die Bedienungsanleitung inklusive Troubleshooting wirkt für italienische Verhältnisse vergleichsweise undadaistisch, klar strukturiert und informativ.Wer den Tankdeckel anhebt, bemerkt schnell ein weiteres Bezzera-Novum: Nicht – wie bei den meisten italienischen Maschinen üblich – ein unschön im Weg herumbaumelnder Silikonschlauch sorgt hier für die Frischwasserzufuhr, sondern ein am Boden des Plastikbehältnisses angebrachtes Ventil. Dementsprechend ist auch die Schutzschaltung gegen Wassermangel über eine elektronische Sonde gelöst, nicht über einen Drucktaster am Boden.
Wermutstropfen der an und für sich angenehmen Lösung: Wer den Tank nicht korrekt einsetzt bzw. durch irrtümliches Befüllen desselben mit heißem Wasser eine auch nur minimale Verformung des Reservoirs hervorruft, läuft Gefahr, entweder ganz ohne Nass dazustehen oder aber das Innere des Gerätes zu fluten. Jetzt aber avanti: Legen wir los!
Auf Herz und Nieren
Dass solch ein Bolide ordentlich was unter der Haube hat, merkt man bereits am enormen Durst: Nach Betätigung des Netzschalters ertönt ein sonores, unaufgeregtes Brummen und langsam saugt die Giulia einen beträchtlichen Teil des Tankes in ihr Inneres. In für einen Kessel diesen Ausmaßes durchaus beachtlichen sieben Minuten ist die hübsche Dame unter Dampf. Wie wir als erfahrene Bariste wissen, ist dies jedoch nur die halbe Miete; bis das gesamte Gerät inklusive (selbstredend angespanntem!)
Siebträger auf Betriebstemperatur ist, vergehen weitere lange Minuten. Ein bisschen Sitzfleisch muss der Bezzi-Besitzer also schon mitbringen. Mit Leerbezügen lässt sich das Prozedere auf etwa 20 Minuten drücken, darunter ist nichts zu löten. (Wem das noch zu lange ist, der sollte womöglich doch zur aktiv beheizten BZ-Reihe greifen.) Dann wollen wir mal: Mahlgrad auf Sicht und durch Fingerprobe voreingestellt, penibel 16 Gramm abgewogen, ins Doppelsieb gefüllt, getam … – aber halt! Was ist denn das?! Trotz 58-mm-Standardmaß will der entsprechende Tamper partout nicht ins Sieb passen. Natürlich denken wir zunächst spontan an einen piccolo Produktionsfehler, an das bisschen fast schon vermisste Italianità.
Ein kurzer Anruf bei Luca Bezzera belehrt uns indes eines Besseren: „We have created own tampers with 56 mm. You have to buy them.“ So so, verstehe: Der schlaue Fuchs, will über eine eingezogene Riefe ganz schnöde seine Zusatzverkäufe ankurbeln. Ein nicht gerade feiner Zug, dem wir aber schulterzuckend ins Gesicht lachen, indem wir das mitgelieferte Doppelsieb einfach durch ein Standardteil ersetzen. Die paar Euro sind es uns wert. Nach Behebung des kleinen Stolpersteines erweist sich die Giulia dann allerdings als rundum gelungen: Gleich der zweite Shot gelingt derart gut, dass einem die Tränen in die Augen steigen. Die Temperatur ist (sicher auch aufgrund der erwähnten Schrecksekunde) perfekt und obenauf lockt eine verführerische, mindestens daumendicke Crema-Haube in Haselnussbraun. Leise, geradezu vornehm verrichtet die Bezzera Dienst nach Vorschrift – und ist dabei derart schön anzusehen, dass man den Blick kaum mehr abwenden mag. Auch das Milchschäumen gerät dank des üppig dimensionierten Boilers zum reinsten Vergnügen, geht aber selbst bei voll aufgerissenem Ventil nicht unangenehm brutal vonstatten. Wer es noch etwas sanfter mag, kann die mitgelieferte Vierlochdüse problemlos gegen eine mit zwei Löchern tauschen. Feinster Mikroschaum in Rekordzeit ist in jedem Falle ein Leichtes. Fazit: Alltagstest mit Auszeichnung bestanden.
Resümee
Wer sich für Bezzeras Premium-Produkt entscheidet, macht nichts falsch: Er erhält einen Zweikreiser, der die momentan besten Detaillösungen mit ansprechendem Äußeren, tadelloser Alltagstauglichkeit und – last but not least – einem Preis kombiniert, der am Markt momentan seinesgleichen sucht. Dies gilt umso mehr für die Variante mit Festwasseranschluss, die für um die 100 Euro mehr zu haben ist. Da die Giulia auch von hinten nicht mit ihren Reizen geizt, eignet sie sich sogar für freistehende Insellösungen als Küchenskulptur hervorragend. Einzig die üppige Aufheizzeit wird den einen oder anderen vermutlich abschrecken, was sich aber durch einen vorgeschalteten Timer minimieren lässt. Und das mit dem Sieb?
Na ja. FRECHHEIT SIEGT am Ende doch nicht immer, Luca.
Für die Bezzera Giulia spricht:
- Hervorragende Espressoqualität
- Dampfpower satt
- leicht zu bedienende Kippventile
- erstklassiges Preis-Leistungs-Verhältnis
- hochwertige Verarbeitung
Steckbrief
» Maße: (Breite/Höhe/Tiefe in cm) 32 x 44 x 45
» Gewicht: 24 kg
» Leistung:1.350 Watt
» Kessel: 2 Liter
» Inhalt Vorratstank: 4 Liter
Features
» Faema E61-Brühgruppe
» Progressive Kippventile für Wasser und Heißdampf
» Zweikreissystem (Thermosyphon)
» Großer Kupferkessel mit elektronischer Wasserstandskontrolle
» Brühdruckmanometer