Sie strahlen die Atmosphäre von damals aus und sind voll von faszinierenden Geschichten über die intellektuellen Stammgäste aus der Vergangenheit: Die legendären literarischen Cafés von Florenz sind wichtige Zeugen einer verflogenen Zeit.
WER FLORENZ KENNT, wird nicht überrascht sein, dass die Leser des britischen Reisemagazins „Condé Nast Traveler“ Florenz vor Kurzem auf den achten Platz der besten Reiseziele der Welt gewählt haben, noch vor beliebten Städten wie Madrid, Amsterdam und Prag. Besser noch, schon wenn man einen Reiseführer über Florenz nur aufschlägt, geht man das Risiko ein, von dem enormen Angebot in der Stadt überwältigt zu werden. Zweifellos ist Florenz die italienische Stadt mit der höchsten Dichte an Renaissancekunst innerhalb eines sehr begrenzten Stadtgebietes. Jeden Tag kämpfen Museen wie La Galleria degli Uffizi, Galleria dell’Accademia, Il Bargello und der Palazzo Pitti um die Aufmerksamkeit und die Gunst der Besucher.
Wohin man sich auch dreht und wendet, überall sieht man deutliche Beweise der stolzen Vergangenheit von Florenz. Vom Dom von Santa Maria del Fiore mit seiner verblüffende Kuppel, die der Architekt Brunelleschi im Jahre 1226 zu bauen begann, bis hin zu den Kirchen von San Lorenzo und Santa Maria Novella. Aber auch die Piazza della Signoria mit dem Palazzo Vecchio, dem Rathaus von Florenz, als zentrales Bauwerk und natürlich der Ponte Vecchio aus dem Jahre 1345, die älteste Brücke der Stadt. Florenz steckt voller Atmosphäre, Tradition und Geschichte. Aber nicht nur auf den Straßen und in den vielen Museen wähnt sich der Besucher in vergangenen Zeiten. Diese Zeitreise kann auch in den vier berühmten historischen Cafés der Stadt, „Giubbe Rosse“, „Gilli“, „Paszkowski“ und „Rivoire“ erlebt werden. Umgeben von Stil und Eleganz, mit einem Gefühl, als ob die Zeit stehen geblieben wäre, können Sie sich nach einem Museumsbesuch dort herrlich ausruhen.
Giubbe Rosse, 1890
„Giubbe Rosse“, „Rote Westen“, ist das jüngste der vier Cafés und was den Stil und das Interieur angeht wahrscheinlich auch das modernste. Das Café, das ursprünglich Reininghaus hieß, begann als gewöhnliche Kneipe, die von zwei Deutschen betrieben wurde. Das Charakteristische waren die roten Westen der Kellner im stilvollen Wiener Schnitt. Als das Café später von einem neuen Eigentümer übernommen wurde, trugen die Kellner auch weiterhin die roten Westen. Dies wurde zur Inspiration für den neuen Namen des Cafés. Heute ist „Giubbe Rosse“ vor allem als der Platz bekannt, an dem die populärsten Mitglieder der Kunstbewegung des italienischen Futurismus ihre Ideen entwickelten. Hier traf sich auch die Kulturprominenz, um über politische und kulturelle Themen zu sprechen. Und das waren nicht immer gepflegte Gespräche. Die Geschichtsbücher berichten, wie die lebhaften Diskussionen oft in Gefluche und lautstarke Streitereien und nicht selten sogar in Schlägereien ausarteten.
NACH DEM ZWEITEN WELTKRIEG besuchten viele bedeutende Florentiner, wie zum Beispiel die Schriftsteller Elio Vittorini und Eugenio Montale, regelmäßig dieses Café. Aber mit der Zeit sind sowohl die Futuristen als auch die örtlichen Intellektuellen zur fernen Erinnerung geworden.
Trotzdem versucht man im „Giubbe Rosse“, das kulturelle Banner hochzuhalten, indem das Café regelmäßig zum Ausstellungsort für Werke von regionalen Künstlern wird. Daneben werden hier häufig Buchbesprechungen und Lesungen, kulturelle Debatten und kleine Konzerte organisiert. Das Café ist inzwischen bis weit über die italienischen Grenzen hinaus bekannt und die roten Westen bedienen oft Touristen aus der ganzen Welt.
Paszkowski, 1846
Auf der Piazza della Repubblica grenzt das „Paszkowski“ an das „Gillis“. Beide Cafés sind im Besitz der Familie Valenza. Das „Paszkowski“ begann als „normale“ Bar einer polnischen Familie, die dem Betrieb seinen Namen gab. Zu Beginn des letzen Jahrhunderts genoss das „Paszkowski“ einen guten Ruf als literarisches Café, da eine kleine Gruppe bekannter Autoren, unter anderem Gabriele D’Annunzio, Eugenio Montale, Umberto Saba und Vasco Pratolini, gerne hierher kam. Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Café ständig von den deutschen Besatzern beobachtet, da es als Zufluchtsort für florentinische Widerstandskämpfer galt. Die Folge war eine Reihe von unsanften Razzien.
HEUTZUTAGE IST DAS Café ein eleganter, stilvoller Treffpunkt mit einem reifen Publikum, das in den Sommermonaten von klassischer Klaviermusik unterhalten wird. Das Interieur im Art-déco-Stil ist klassisch und nahezu wuchtig. Die Kellner sind bis in das kleinste Detail ausstaffiert. Die Vielfalt des Kaffeeangebots ist beeindruckend und auch die Küche kann gut mithalten. Die interessante Geschichte des „Paszkowski“ wurde im Jahre 1991 von der italienischen Regierung gewürdigt, die das Café zum kulturellen Erbgut ernannte.
Rivoire, 1872
Für Feinschmecker ist das „Rivoire“ zweifellos der beste Ort. Als im „Rivoire“ im Jahre 1872 die erste Rechnung geschrieben wurde, hieß es noch Enrico Rivoire Chocolate Fabrik. Der Betrieb hat sich inzwischen zu einem bekannten Café entwickelt, aber der Schwerpunkt liegt nach wie vor auf der Schokolade. Das „Rivoire“ hat nicht nur den Ruf, die beste heiße Schokolade in Florenz zu servieren, sondern wartet auch mit einem ungewöhnlich großen Sortiment verschiedener Schokoladensorten auf. Da es eine der exklusivsten Adressen auf der Piazza della Signoria ist – mit einer prächtigen Aussicht auf das Rathaus und nur einen Katzensprung von den berühmten Uffizien entfernt – ,zieht das Café jeden Tag ganze Scharen kulturinteressierter Besucher aus Italien und aus aller Welt an.
DER STIL DES Interieurs ist elegant, aber gemütlich und im klassischen Ambiente. Ein Großteil der Vertäfelung im „Wohnzimmer“ des „Rivoire“ befindet sich dort schon seit dem Eröffnungstag. Trotz des manchmal überwältigenden Interesses der Besucher ist der Charme des Cafés zum Glück erhalten geblieben.
Caffè Pasticceria Gilli, 1733
„Gilli“, wie das Café im Volksmund kurz heißt, ist das älteste und wahrscheinlich auch das eleganteste Café in Florenz. Wenn Sie auf der Suche nach einem Ort sind, an dem Sie sich in vergangenen Zeiten wähnen können, müssen Sie hierher. Und vergessen Sie nicht, sich das formvollendete Symbol für die verflogene Zeit anzusehen: die Uhr, die in einem der Zimmer hängt – die älteste Uhr von Florenz, wie es heißt. Das Café erstrahlt im klassischen Ambiente. Die dicken Teppiche, die eleganten Murano-Kerzenständer, der Ernst der Ober und die gehobene Atmosphäre geben Ihnen das Gefühl, dass Sie an einen Ort gelangt sind, an dem Selbstvertrauen und Tradition sich in nichts nachstehen.
ALS BELIEBTER TREFFPUNKT vieler Florentiner wird das „Gilli“ von jeher als das Lieblingscafé der Upperclass angesehen. Durch das weltberühmte Foto „American Girl in Italy“, im Jahre 1951 von der amerikanischen Fotografin Ruth Orkin aufgenommen, wurde das Café noch bekannter. Das Motiv wurde 30 Jahre später noch einmal fotografiert, wieder mit dem „Caffé Gilli“ im Hintergrund.
Das Menü bietet viele Spezialitäten regionaler Konditoren und eine große Anzahl verschiedener Kaffeesorten, doch die Küche serviert auch warme Gerichte.
Text & Fotos: Jesper Storgaard Jensen