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crema Magazin

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Was vom Tage übrig blieb

Antonio Di Leva aus Neapel hat vor vielen Jahren eine Erfindung gemacht, mit der heute viele Millionen Euro verdient werden: die Ein-Portionen-Kaffeedosis, besser bekannt als Kaffeepad. Reich geworden ist er damit nicht.

Text & Fotos Sandro Mattioli

Er hätte ein großer Erfinder werden können. Doch alles, was Antonino Di Leva blieb, passt jetzt in ein kleines Büro in einem Vorort von Neapel – und auch das wird bald aufgelöst: Ein paar alte Kartons, auf denen ein Aufdruck für seine „Prontadose“ wirbt, stehen in dem Raum, dazu drei Schreib­tische und etwas Krimskrams. Zigarettenrauch hängt in der Luft. An einem der Tische sitzt seine Sekretärin, aber nur einen halben Tag lang und auch das nur, bis die Unternehmensgeschichte endgültig für Di Leva abgewickelt ist. Der alte Mann sitzt hinter sei­nem Schreibtisch inmitten des Rau­mes. Er ascht auf die Glas­platte, schiebt die Asche dann in den Mülleimer und er­klärt: „Es ist wichtig, dass Sie die Details verstehen.“ Denn seine Erfin­dungen sind etwas Besonderes.
Ei­nige von Di Levas Prototypen von Kaffeemaschinen gibt es heu­te noch. Di Leva hat sie bis zur Marktreife entwickelt, heute ste­hen die Kaffeekoch­kannen in seiner Wohnung. Sie kombinieren das schonende Überbrühsystem der Napoletana mit der Ge­schwin­digkeit der sechseckigen Mokka. Es ist ein kompliziertes Sys­tem und es war wohl überlegt: Wasser in einem kleinen Dampf­­kessel im unteren Teil der Kaffee­kan­ne treibt einen Kolben nach oben, der das Wasser in der Kammer über sich durch den Kaf­feefilter drückt. So wird das Wasser, das schließlich den Kaf­fee auf­brüht, nicht zu heiß; es werden weniger Bitterstoffe freigesetzt. Eine andere Maschine mit demselben Prin­zip ermöglicht es sogar, große Men­gen Espresso auf einmal zuzubereiten, etwa für grö­ßere Feste. Di Leva ist stolz auf seine Maschinen. „Ich war so­gar mehrmals damit im Fernsehen“, sagt er und zählt die Sen­dungen auf. Seine erfolgversprechendste Erfindung hat er aber neu­lich auf den Müll bringen lassen – fast vierzig Jahre nach ihrer Entwicklung.
„Eineinhalb Millionen leere Kaffeefilter hat­te ich noch, alle aus Aluminium. Die Ent­sorgung hat eine Menge Geld gekostet“,berichtet er. Di Leva zeigt dabei keine Regung in seinem kantigen  Ge­sicht. Seine „Prontadose“ war eine visionäre Ent­wicklung. Beim Spaziergang mit seinem Cousin sei die Idee ent­standen, Kaf­fee in bereits fertigen Portionen zu liefern, berich­tet Di Leva, des­sen Eltern eine kleine Kaffeerösterei in Salerno betrieben. Der Erfin­der versprach sich von dem neu­en System mehr Frische; die Por­tionen sollten einzeln verpackt werden. Antonino Di Leva war von seinen Eltern auf eine Handelsschule in der Schweiz ge­schickt worden, er knüpfte dort wertvolle geschäftliche Kontakte und arbeitete später auch als Kaufmann. In seinem Her­zen ist er aber immer ein Erfinder ge­blieben. Die von ihm entwickelten Filter wurden Anfang der 1970er-Jahre tatsächlich produziert und mit Kaffeepulver gefüllt. Ein Ge­mein­­schaftsunternehmen entstand, an dem neben Di Leva auch die Kaf­­fee­rösterei Lavazza beteiligt war. Sechs Monate lang liefen die Pronta­dose vom Band. „Ganz Mailand hing mit Plakaten voll, die für die neue Art, Espresso zuzubereiten warben“, erinnert sich der 79 Jahre alte Italiener. Der Kaffeeröster habe sich die Werbekampagne viel Geld kosten lassen. Dann geht Di Leva zu seinem Computer und zeigt Bilder von der Maschinenstre­cke, die dafür angeschafft worden war. Jeder der bereits fertig befüllten Filter wurde damit einzeln vakuumverpackt.
„Mein Filter ist vergleichbar den Marmeladenportionen, die man in Hotels auf dem Frühstückstisch findet“, sagt er. „Die reagieren ja auch nicht mit der Säure aus der Marmelade.“ Nur dass bei Di Levas Alufiltern der Boden und der Deckel per­foriert waren, damit das Aufbrühen funktioniert. Den glück­losen Erfinder tröstet heute die Gewissheit, dass sein System besser ist als das jetzt weit verbreitete Pad-Brühding.
„Kaffee enthält ätherische Öle. Wenn man an einem Pad riecht, bemerkt man immer einen etwas ranzigen Geruch“.
Bei seinem Filter sei das wegen des Filter­materials Aluminium nicht passiert. Warum die Herstellung nach einem halben Jahr beendet wurde, möch­te der Mann eigen­tlich nicht sagen. Um Familien­streitig­keiten habe es sich ge­han­delt, deutet er an. Mit seinem Sys­tem habe das jedenfalls nichts zu tun. Und alle drei Teilhaber des Un­ter­­nehmens hät­ten sich gütlich geeinigt. Auch mit seinen Kaf­femaschinen, Nike genannt, hatte er keinen großen Erfolg. Die Kaf­fee­zubereiter gingen niemals in Serie. Die Anfangs­investi­tionen wären zu hoch gewesen. „Heute wäre das kein Pro­blem, da könnte man die Geräte billig produzieren lassen.“ Da­mals gab es jedoch noch keine globalen Märkte und keine chinesischen Produzenten italienischer Mokkas.
Wenn es damals, Anfang der 1970er-Jahren anders gelaufen wäre, wer weiß, vielleicht wäre Di Leva heute steinreich. Wie viel Geld er allein mit einer einzigen seiner Erfindungen hätte verdie­nen können, zeigt der Umsatz, der mit den Ein-Por­tionen-Kaffees gemacht wird, mit den Pads, die man einfach oben in die Maschine legt, den Deckel schließt und auf einen Knopf drückt und kurze Zeit später ist er fertig, der Kaffee. Al­lein die Originallie­fe­ranten für die Senseo-Maschine haben seit der Markt­einführung des Systems im Jahr 2002 mehrere Mil­li­arden Pads verkauft. Di Leva brachte seine Erfindung dagegen nur Kosten. Eine Milliarde Lire seien investiert worden, sagt er, nur um die Produktion für die Ein-Portionen-Filter aufzubauen. Das sind rund 600.000 Euro, für die Maßstäbe der 1970er-Jahre eine immense Menge Geld. Natürlich hat sich Antonino Di Leva seine Erfindung patentieren lassen. Die Urkunde über den Schutz der Ein-Portionenkaffees ist fast vierzig Jahre alt, sie staubt bei ihm zu Hause langsam ein. Ei­nige Jahre nach Di Leva entwickelte auch der italienische Kaffee­röster Illy ein Padsystem für Espresso. Doch richtig durchge­setzt hat sich erst das Vliespad, das Douwe Egberts und Phi­lipps für die Senseo-Maschinen entwickelt haben. Dessen Erfin­der mussten vor Gericht eine Niederlage hinnehmen: Ihr Patent greift nicht für die  Pads. Hat Di Leva denn von den Herstel­lern der Vliespads Geld bekommen dafür, dass sie ebenfalls ein­zel­ne Kaf­feeportionen anbieten? „Nein“, sagt er, und er ha­be auch nie ein­en Nachahmer verklagt. „Das bringt nichts. Da genügt eine kleine Änderung und schon greift das Patent nicht mehr.“
All das ist an Di Leva nicht spurlos vorbeigegangen. Er ist hart zu anderen, vor allem aber hart zu sich selbst, sehr hart. „Wenn ich morgen aufwachen würde und wäre halbseitig gelähmt, möchte ich umgebracht werden“, sagt er. Der Mensch muss nützlich sein und Di Leva will niemandem zur Last fallen. Und er hat sich auch schon Gedanken darüber ge­­­macht, was einmal auf seinem Grabstein stehen soll: „Weil ich es allzu gut machen wollte, habe ich nie etwas Gutes zustande gebracht. Als ich schließlich dachte, ich hätte et­was Gutes voll­bracht, ist mir klar geworden, dass ich mich komplett getäuscht habe.“
Und so ist dies am Ende die traurige Ge­schichte eines Man­nes, der viele pfif­fige Erfin­dungen gemacht hat. Neben den Kaffeemaschinen und dem ers­ten Ein-Portionen-Filter­system auch eine Abgas­­reinigung für seine Kaf­fee­rösterei und viele Ver­bes­serungen in dem umfang­rei­chen Verfahren, das simple Kaffee­boh­nen zu ei­nem ge­schmackvollen Ge­tränk macht. Di Leva besaß zeitweise zwei Bars an bes­ten Plätzen mitten in der Stadt, er belieferte Ho­tels entlang der ge­sam­ten Küste südlich von Neapel und auch mit­ten in der Stadt. Er war mit mehreren Unter­nehmen gut im Geschäft.



Heu­te verbringt er seine letzten Tage als Unternehmer in seinem Büro­­­ in einem Vor­ort von Neapel. Schräg gegenüber hat die Camorra vor Kurzem einen Rivalen er­schos­sen. Di Leva fährt mit ei­ner ärmlichen verbeulten Kiste durch die Gegend, immer schön gemütlich. Das Auto lässt er offen stehen, mit dem Schlüs­sel im Zündschloss. „Das stiehlt sowieso niemand und so brechen sie es mir wenigstens nicht auf“, erklärt er. Geld, sagt der Senior, sei ihm nicht viel übrig geblieben, mal aus diesem, mal aus je­nem Grund. Vielleicht ist er aber doch nur ein typischer Neapolitaner. In der diebstahlfreu­digen Stadt zeigt niemand, was er hat. Irgendwann einmal rutscht Antonino Di Leva dann ein Satz raus. Man müsse lügen, sagt er. Wie auch immer.
Antonino Di Leva bleibt nun noch ein paar Tage das Gefühl, eine lange Fa­mi­lien­­tradition zu einem gu­ten Ende gebracht zu haben. Und die Gewis­­sheit, dass seine Entwicklungen besser als die seiner Meinung nach ranzigen Vliesfilter sind. Dann aber ist eine weitere Kaffeerösterei endgültig abgewickelt und Antonino Di Leva Rentner.

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