Kaffeequalität wird auf den gängigen Packungen meistens mit den Wörtern hundert Prozent Arabica definiert. Wir in der crema-Redaktion haben uns schon lange vom Gegenteil überzeugen lassen. Selbst hundert Prozent Canephora (Robusta) kann fantastisch schmecken.
Text und Fotos: Dr. Steffen Schwarz
Zugegeben – man muss schon fast verrückt sein, um gegen die universelle Kaffee-Marketingkeule 100 Prozent Arabica anzutreten – aber mir ist schon Schlimmeres passiert. Als ich mich heute Morgen auf den Weg machte, war sie wieder da – diese Nachricht, die so falsch und doch so bekannt ist: 100 Prozent Arabica-Qualität. Ich starre auf den Pappbecher mit Kaffee, den der junge Mann neben mir auf dem Bahnsteig in der Hand hält und möchte laut schreien. Dieser Automatismus, der zugleich platt, einfach und vermutlich daher so beliebt ist, muss dringend infrage gestellt und dann konsequent ausgemerzt werden. Zunächst heißt Qualität (von lat. qualitas) lediglich „Beschaffenheit“, was damit im eigentlichen (lateinischen) Sinne ja gar nicht falsch sein kann, denn jedes Produkt ist irgendwie beschaffen. Es ist schlichtweg beschreibend, ohne eine Aussage über die Güte des Produktes zu machen – doch wird es eben meist so verstanden. Und die Verbreiter dieser Botschaft wollen, dass diese Nachricht so vom Empfänger verstanden wird. Eine bewusste Misskommunikation, die nur zu gerne als universelles Trojanisches Pferd des Kaffee-Marketings und selbstgefällige Pseudokennerschaft genutzt wird.
Der Hintergrund dieser Information ist eine „Güteabsolution“ für Kaffee, die vielen Röstereien sehr dienlich ist – zumindest auf kurze Sicht. Langfristig wird sich immer der Geschmack durchsetzen und nicht jeder Arabica-Kaffee ist automatisch ein Qualitätskaffee. Kein Winzer käme auf die Idee – und auch kein Weinhändler oder Weinkäufer –, alleine die Angabe der Art, z. B. Rotwein als hinreichende Aussage für eine gute oder hohe Qualität zu nutzen oder zu akzeptieren. Warum also ist dies bei Kaffee möglich? Eine Weinflasche mit einem Etikett „100 prozentige Rotwein-Qualität“ würde sicherlich niemals einen Käufer finden – höchstens einen Verbraucherschützer. Und der Begriff Robusta, der als Sinnbild für schlechten Kaffee gilt, ist im doppelten Sinne falsch. Denn die Art, die neben der Coffea Arabica (ca. 65 Prozent Weltmarktanteil) die zweitwichtigste auf unserem Planeten ist, ist die Coffea Canephora (mit rund 35 Prozent Weltmarktanteil). Die Canephora wird leider weitläufig – und dennoch falsch – als Robusta bezeichnet.
Niemand würde aber Kennerschaft bei der Aussage „es gibt Rotwein und Riesling-Wein“ unterstellen. Richtig wäre es von Rot- und Weißwein zu sprechen. Und so bezeichnet die Welt (selbst die Börsen in New York und London oder die ICO (International Coffee Organisation)) die Art Coffea Canephora bedauerlicherweise und falsch als Robusta. Ein kollektiver Kommunikationsunfall. Und schlimmer noch, denn dieser Information folgend wird der Arabica als gut und der Canephora als schlecht oder minderwertig dargestellt und empfunden. Das ist noch schlimmer als die falsche Nomenklatur. Um es kurz zu machen: Es gibt herausragende Canephora-Kaffees. Vollmundige, kräftige, feinherbe, karamellige Kaffees mit Nougat- und Cognacnoten. Ein echter Genuss. Nur kein Geschmack wie ein Arabica-Kaffee. Und wenn an diesem Standard gemessen wird, ist ein Canephora ein schlechter Arabica. Interessanterweise ist das überall so, denn ein Weißwein ist ein wirklich schlechter Rotwein … schon alleine die Farbe ist dann sehr schlecht ausgebildet.
Es ist also an der Zeit, diese unzulässigen Vergleiche zu beenden und Arabica als Arabica und Canephora als Canephora zu begreifen. Jeder Süditaliener schätzt den ausgeprägten kräftigen Geschmack von Canephora-Kaffees, der, meist auch noch sehr dunkel geröstet, dann schon malzige, erdige und torfige Töne präsentiert. Die mit der tiefen Röstung einhergehende Bitterkeit gleichen Neapolitaner und Sizilianer mit Zucker aus. Eine Erfahrung aus dem Bereich „dolce amaro“ – typisch für diese Region. Und den Italienern sollte man nicht zu leichtfertig die Kompetenz für Genuss, gute Küche und guten Geschmack absprechen. Die Canephora-Art gliedert sich in drei große Gruppen, zwei Linien von natürlich vorkommenden Varietäten (die Kongo-Gruppe und die Guinea-Gruppe) sowie den Kreuzungen, also den Zuchtvarietäten. Bekannte und weit verbreitete Vertreter dieser Varietätengruppe sind der Conillon, Old Paradenia, Bukoba, CxR (Congensis x Robusta) und Robusta. Conillon wird vorwiegend in Brasilien angebaut und wird dort gewissermaßen als anderer falscher Terminus für Canephora benutzt. Dort kennt man Arabica und Conillon. Es erscheint wirklich kurios, wie wenig botanisches Wissen in der Kaffeebranche verbreitet ist.
Die beiden natürlich vorkommenden Wildlinien haben sich niemals natürlich gekreuzt, da sie durch den Dahomey-Korridor getrennt waren und ein natürlicher Austausch daher unmöglich war. Noch heute finden sich deshalb viele dieser Urvarianten wild wachsend oder auch in Kultur in den Ländern Westafrikas. Leider ist es nur schwer möglich, reine Varietätenkaffees zu erwerben, da bereits im Anbau, spätestens aber im Transport/Aufkauf im Ursprungsland verschiedenste Regionen und Varietäten vermengt werden. Der Canephora, der um 1680 in Uganda entdeckt wurde, ist ein Ursprung des Arabica (der aus der Kreuzung von Coffea Canephora und Coffea Eugenoides hervorgegangen ist). Häufig wird der Arabica fälschlicherweise als ältere Art bezeichnet und dabei mit Coffea Mokka verwechselt, die dann dem Arabica als Varietätenreihe zugesprochen wird. Schon hier ist es spannend zu sehen, dass die genetische Hälfte des Arabica nicht gut sein soll. Aber auch dieses Wissen steht nur einer nahezu nicht wahrnehmbaren Minderheit der Kaffeebranche zur Verfügung. Canephora entstammt zu großen Teilen den Ländern Westafrikas, die dort leider durch schlechte Aufbereitung und wenig Know-how bei Pflege und Anbau überwiegend nur sehr niedere Qualitäten hervorbringen. Gleiches gilt für viele Länder Asiens, insbesondere für Vietnam, das inzwischen zum zweitgrößten Kaffeeproduzenten mit großen Produktionszahlen und sehr ärmlicher Tassenqualität avanciert ist. Doch auch hier gedeihen Topqualitäten und das Wissen um den Kaffeeanbau einiger Produzenten greift auf Erfahrungen seit dem ersten Kaffeeanbau in der ehemaligen französischen Kolonie Tonkin im Jahre 1745 zurück.
Die besten Canephoras entstammen sicherlich den Ländern Uganda und Indien, die seit Jahren ein sehr aufwendiges und hochqualitatives Verarbeitungssystem eingeführt haben. Indische Canephora-Kaffees, meist handelt es sich hierbei um Old Paradenia und CxR, werden fast ausschließlich „Shade grown“ – also beschattet – angebaut und einzeln Kirsche für Kirsche mittels „Picking“ geerntet. Anschließend werden die Kaffees nass oder trocken aufbereitet und sonnengetrocknet. Alles zusammen entspricht den höchsten Standards und Prozessen für die Top-Arabica-Kaffees.
Die indischen Kaffees, die in zwölf sehr unterschiedlichen Regionen angebaut werden, bieten eine beeindruckende Geschmacksvielfalt. Aus den Regionen Chikmagalur und Coorg stammen Canephoras, die häufig von über 70 Jahre alten Pflanzen stammen, die ein sehr gereiftes Geschmacksprofil aufweisen. Die Kaffees haben einen vollmundigen, cremigen Körper und Aromen von Kandis, Cognac, Popcorn und Nougat. Häufig werden diese Kaffees mehrfach gewaschen und bis zu 72 Stunden fermentiert, um den Kaffees sogar fruchtige Töne zu entlocken. Einige dieser Kaffees würden nur noch von wenigen Profis in einer Verkostung mit Arabica-Kaffees als Canephora identifiziert werden können. Dieser Test fand bereits vor einigen Jahren auf Einladung der Indischen Spezialitätenkaffeevereinigung statt und führte zu großer Verwirrung bei Arabica-Hardlinern. In Mexiko wachsen noch einige wenige und ebenfalls sehr alte Canephora-Pflanzen der Varietät Robusta. Leider ist die Aufbereitung hier an die Arabica-Kaffees angepasst, weshalb diese Canephoras keine so runden und balancierten Geschmacksprofile entwickeln. Der in Brasilien angebaute Conillon ist vielfach ein reiner Füllkaffee, der ohne große Leidenschaft von den Kaffeefarmern produziert wird und gute bis sehr gute Erträge bringt. In einer Kosten-Nutzen-Rechnung schneidet er sehr gut ab. Dieser Kaffee findet zumeist den Weg in den nationalen Markt und wird nicht exportiert.
Bei richtiger und sorgsamer nasser Aufbereitung und korrekter Fermentation und Trocknung ist auch dieser Kaffee ein besonderes Geschmackserlebnis mit Tönen von Tabak, Honig, Holz, Gewürzen und Melasse sowie einem beeindruckenden Körper. Der Conillon stammt ursprünglich aus Madagaskar und heißt dort Quillou. Wahrscheinlich handelt es sich um einen Bezeichnungsfehler, der mit der Ausfuhr aus Madagaskar entstand und sich im Laufe der Zeit verselbständigte. Da das Rendement des Conillon (ca. 2,5 – 4) viel geringer ist als das des Old Paradenia (ca. 5 – 6), besitzt letzterer ein wesentlich höheres Potenzial, Süße zu entwickeln und in den Bohnen einzulagern). Der Conillon wiederum kennt verschiedene Unterarten (hellrote, dunkelrote und gestreifte Conillon- Varietäten). Diese drei Untervarietäten besitzen erwartungsgemäß verschiedene Geschmacksprofile, die von den unterschiedlichen Zuckern herrühren, die gebildet werden. Es lohnt sich also, einmal 100 Prozent reinen Canephora zu verkosten – allerdings nur bei bekannter Varietät und Aufbereitung. Erwarten Sie dann bitte keinen Arabica, denn ein exzellenter Canephora ist eben nur ein schlechter Arabica aber ein sehr guter Canephora.
Und ich werde niemals das erste internationale Canephora-Symposium im Jahre 2005 im Rahmen der SCAE-Jahreskonferenz mit Weltmeisterschaften in Athen vergessen, an dem genau vier Personen teilnahmen. Ich war eine davon und ich werde die Worte des britischen Teilnehmers Andy Fawkes niemals vergessen. „I think we have to change the format here. O.k. I will start. … Hello, my name is Andy Fawkes and I am a Robusta-Drinker. Now you. Der Kollege aus Uganda spielte mit und wir beiden anderen wollten dem natürlich nicht nachstehen. Es fasziniert mich bis heute zu sehen, wie viel falsches Wissen rund um diesen wunderbaren Kaffee grassiert und sich solide halbgebildete Kaffeegurus daran selbst erhöhen und von ihren eigenen Unzulänglichkeiten abzulenken versuchen. Insbesondere die dann verzweifelt erfolgenden Hinweise auf gesundheitliche Nachteile des Kaffees – vorgebracht von ungeschulten Ersthelfern – können mich als Arzt nur amüsieren.
Aber es gilt wie beim Arabica: Es kommt auf die genauen Anbau- und Verarbeitungsbedingungen an, die darüber entscheiden, ob der einzelne Kaffee ein Segen oder Fluch ist. Morgen werde ich auf jeden Fall einen fantastischen Indischen Palthope Estate, CxR, fully washed in hellerer Röstung aus der Karlsbader Kanne genießen und diejenigen bedauern, denen ein solches Geschmackserlebnis für immer entgeht.
Ich gebe Ihnen vollkommen recht : es gibt sowohl bei den Arabikas als auch bei den Robustas jeweils erstklassige aber auch sehr schlechte Qualitäten. Zu den besten Robustas zählen zweifelsfrei bestimmte indische Parchments während man auf Vietnams in Blends ruhig verzichten sollte. Ich persönlich bin kein Freund von 100% Robusta, kann jedoch nachvollziehen, wenn jemand dies prägnante Profil liebt. Ich gebe – ebenso polarisierend – 100% Kenya aus einem bestimmten Anbaugebiet den Vorzug. Also Geschmack ist Geschmackssache. Ferner bin ich der Überzeugung, daß zur Differenzierung von Produkten innerhalb von Sortimenten und Erreichung bestimmter Produktleistungen der Einsatz bester Robusta-Qualitäten im richtigen Maße angezeigt ist.
Das es länderspezifische Vorlieben gibt wissen wir alle. Der französiche Geschmack ist ein anderer als der deutsche oder italienische. Daß in Italien Robusta vermehrt verwendet wird hat auch z.T. mit den dort üblichen Brühmethoden zu tun. Die Kaffees müssen auf diese abgestimmt sein.
Zum Schluß : es ist völlig nebensächlich, welchen Namen das Kind trägt. Ob Robusta oder Canephora. Alle Fachleute wissen was gemeint ist.
Spannend finde ich ja den Ausspruch, das 100% Arabica schon als Qualitätsmerkmal dient ohne Hinterfragung. Natürlich prangt dieser kleine Satz auf allen möglichen Oberflächen.
Prombt habe ich die Werbung im Fernsehen gesehen, wo der tolle Barista 100% Arabica als Referenz angibt.
Da musste ich erstmal schmunzeln.