Der Maschinist vs. Elektra Sixties Deliziosa T1
Mal ehrlich: Wenn heute Ihre Bank Sie anriefe und Ihnen mitteilte, dass man sich zu Ihren Gunsten geirrt habe und Sie demzufolge dreieinhalbtausend Scheine mehr auf der hohen Kante hätten – gäbe es eine schönere Art, die unerwarteten Besucher stilvoll auf den Kopf zu hauen? Ja?! Dann sehen Sie noch einmal genau hin. Die Sixties Deliziosa T1 des Traditionsherstellers Elektra wandelt derart nonchalant zwischen bulliger Gastro-Kompromisslosigkeit und Espresso-Schrein für daheim, dass einem die Spucke wegbleibt. Vorausgesetzt, man hat einen 3/8“-Festwasseranschluss zur Hand und ein stabiles Nervenkostüm bei der Inbetriebnahme. Erstkontakt
„Hach, eine Elektra ist halt schon was ganz Besonderes. Egal in welcher Reinkarnation: Ein imposanter, von wuchtigem Adel umwehter Auftritt ist jedem der Modelle aus dem Veneto sicher. So auch in diesem Falle. Auf dem Prüfstand steht eine Sixties Deliziosa T1 in neuester Ausführung – eine eingruppige, programmierbare Festwassermaschine in Profiqualität also, die in kleinen Gastronomien ebenso bella figura machen sollte wie im Tagesgeschäft einer designverliebten Agentur oder in den Küchen High-End-Vernarrter Privat-Baristi. Hüben wie drüben ist sofort klar: Elektra hat hier einerseits stringent auf zeitlose, klare Formgebung geachtet, die das Maschinchen zum ästhetischen Höhepunkt jeden Raumes werden lässt, aber andererseits im Innern technisch aus dem Vollen geschöpft. Jedenfalls ächzt die Bandscheibe, als die immerhin 35 Kilo schwere Deliziosa mit roher Gewalt aus dem robusten Pappkarton auf die Arbeitsplatte befördert wird. Ja, sie ist von kompakter Wucht, diese gleißende Grande Dame mit ihrer ebenso voluminösen Bedienungsanleitung. Polarisieren dürften optisch einzig und allein die höchstens entfernt an gemasertes Holz erinnernden, latent überdimensionierten Bakelitgriffe an Ventilen und Siebträger. Alles andere eine Klasse für sich. Inklusive üppiger Tassenablage für bis zu 30 Espressotassen.
Von außen nach innen
Kein Wunder, dass wir uns schier einen Leistenbruch heben bei satten sechs Litern Kesselvolumen. Auch ansonsten wird hier geklotzt, nicht gekleckert: Das Innenleben wirkt – wie bei Elektra üblich – extrem aufgeräumt, sämtliche verwendeten Komponenten sind State of the Art, die meisten davon vor Ort im Werk in Dosson di Casier bei Treviso selbst hergestellt. Allein die verbauten, windungsresistenten Edelstahlbleche suchen ihresgleichen und dürfen künftig gerne italienweit Standard sein. Selbiges gilt für die Konsequenz, mit der die Elektra-Konstrukteure die Steuerelektronik ihrer Geräte in den feuchtigkeitsgeschützten Kaltbereich verlegen. Immer wieder stößt man auf Details, die begeistern. So ist die stattliche Rotationspumpe besonders vibrationsarm aufgehängt, was äußerlich durch einen Sticker mit der Aufschrift „Super Silent“ erkenntlich ist. Einziger sofort auffälliger Minuspunkt scheint uns die Plastikwanne unter der Auffangschale, an der man den Ablaufschlauch anbringt: Statt den Abfluss an den tiefsten Punkt der Wanne zu konstruieren, liegt dieser unverständlicherweise arg weit oben. Stehende Suppe ist hier gleichsam vorprogrammiert…
Auf Herz und Nieren
Bevor wir Ernst machen, fehlt indes noch eine Kleinigkeit: Die Signora braucht Acqua! In Ermangelung der Möglichkeit eines fixen Anschlusses ans Wassernetz behelfen wir uns ausnahmsweise mit einem Kanister, gefolgt von einer beherzten Drehung am Hauptschalter. Leise surrt die Elektra drauflos, nach etwa drei Litern ist ihr Durst fürs Erste gestillt. Doch was ist das? Plötzlich beginnen die grünen Funktionslampen alternierend zu blinken. Zum Glück haben wir die Bedienungsanleitung in verständlichem Deutsch(!) in Griffweite – eigentlich eher ein Buch fürs gesamte Elektra-Programm – die uns verrät, dass dies lediglich den Aufheizvorgang anzeigt. Nach gesunden zehn Minuten schließt mit gewohntem Zischen das Überdruckventil und das Blinkkonzert verebbt. Der Boiler schaltet nach ca. 15 Minuten bei 1,4 Bar ab, was recht sportlich scheint. Natürlich bedeutet dies noch nicht im Entferntesten, dass der Rest des Monsters betriebsbereit wäre.
Selbiges ist die Deliziosa dann aber – Leerbezug vorausgesetzt – nach etwas über 20 Minuten, was angesichts ihrer Größe völlig okay scheint. Jetzt kann man sie manuell nutzen. Zum Programmieren der Tassenlängen braucht es, wie bei Elektra Usus, einen kleinen Schlüssel; ein Feature, dass sich zuvor im Büroalltag bewährt hat. Einmal drehen, programmieren, fertig – und kein Unbefugter fummelt einem mehr dazwischen. Denkt man jedenfalls noch arglos. Doch Irrtum! Unintuitiveres hat der Maschinist noch nie vor der Flinte gehabt. Selbst mit der (ebenso erratischen) Bedienungsanleitung (s. Foto) gelang es ihm und einem pfiffigen, statistikerprobten Mitarbeiter erst nach geschlagenen 30(!) Minuten, sich durch die Menüs, Untermenüs und Unteruntermenüs zu wühlen und das Gerät auf Länge zu bringen. Kryptisch, definitiv zu kryptisch für die Belegschaft eines Büros. Wir fragen uns vor allem eines: Wozu der tolle Schlüssel, wenn eh keiner bis zur Programmebene vordringt? Ein Display wäre bei weit über dreitausend Euro Anschaffungspreis durchaus schön und vor allem hilfreich gewesen.
Aber zunächst geht es ja eh um Substanzielleres: den korrekten Mahlgrad und das koffeinhaltige Resultat in der Tasse. Ein erster Shot mit 16 g im Doppelsieb läuft noch einen Tick zu schnell, präsentiert sich aber doch schon bemerkenswert Crema-verwöhnt. (Den trinken wir natürlich noch nicht bei einer nagelneuen Macchina, gell?) Bald schon wird ein größerer Stolperstein auf dem Weg zum Espresso-Gral offenbar: Bereits nach kurzer Standzeit neigt die Elektra in Werkseinstellung deutlich zum Überhitzen, was Leerbezüge unerlässlich macht. Und da das Blech bei zu viel Temperatur arbeitet, erschreckt man sich mit schöner Regelmäßigkeit. Danke, Elektra. Den Beweis liefert stehenden Fußes ein Shot mit Gastro-erprobten 17 Gramm und 22 Sekunden Bezugszeit: Obschon wir in der Tasse ein auffällig schön gemasertes Resultat vorfinden, ist dem Caffè eine dominante Bitternote eigen, die der Sarde sonst nicht aufweist. Der dritte Anlauf mit 10-sekündigem Leerbezug vorab trifft dann exakt ins Schwarze und schmeckt merklich runder, karamelliger. So kennen wir die „Gran Miscela“. Alternativ kann man selbstverständlich am Pressostaten tätig werden und ein bisschen den Kesseldruck absenken oder selbigen über die Multifunktionstastatur angleichen. Dies behauptet zumindest die Bedienanleitung. Gelungen ist uns dies trotz viel guten Willens nicht.
Deutliche Pluspunkte fährt dagegen die sehr feinfühlig zu Werke gehende, in alle Himmelsrichtungen frei schwenkbare Dampflanze ein. Diese besitzt selbst für große Mengen Milch genug Bumms, macht durch die satt einrastenden Kippventile einfach Spaß und produziert ohne große Expertise zuverlässig tollen Mikroschaum. So soll das sein!
Resümee
Die Sixties Deliziosa T1 ist beileibe kein Allerweltsgerät, sondern weitaus mehr: Ob nun als repräsentative Zierde für jede Chefetage und Kanzlei, als ultimativer Luxus-Siebträger für zu Hause oder als Wertanlage mit hohem Nutzwert – in puncto Stilbewusstsein macht einer Elektra so leicht keiner was vor. Dass man mit ihr darüber hinaus natürlich auch hervorragenden Caffè zaubern kann, versteht sich von selbst. Sieht man von ein paar kleinen Ungereimtheiten ab (thermische Instabilität mit Hang zur Überhitzung, frustrierend komplizierte Elektronik), die in dieser Liga eigentlich nicht sein müssten, gibt es abgesehen vom üppigen Preis wenig zu meckern.
Für die Elektra Sixties Deliziosa T1 spricht:
Ausgelegt für hohe Bezugszahl, Milchschäumen gelingt absolut mühelos, erstklassige Espressoqualität (sofern korrekt eingestellt), kompromisslose Verarbeitung, viel Platz für Tassen, zeitlos schönes Design
Steckbrief
»Maße: (Breite/Höhe/Tiefe in cm)33,4 x 44,0 x 50,0
»Gewicht: 35 kg
»Leistung: 2.200 Watt
»Kessel: 6 Liter
Features
»Zweikreissystem (Thermosyphon)
»großer Kupferkessel mit elektronischer Wasserstandskontrolle
»Rotationspumpe mit vibrationssicherer Befestigung (Super Silent System)
»Doppelmanometer für Kessel- und Brühdruck
»einfach handhab- und arretierbare Kippventile für Dampf und Heißwasser
»Dosierelektronik mit sechs frei belegbaren Tasten
»Festwasseranschluss
2 comments
Zuerst einmal Vielen Dank für diesen ausführlichen und informativen Test. Lediglich die Beurteilung kann ich nicht ganz nachvollziehen. Dar starke Hang zum Überhitzen stellt für mich doch einen erheblichen Nachteil dar, da mag die Verarbeitungqualität noch so toll sein (wenn man mal von dem Lapsus mit der Auffangschale absieht). Der hohe Energieverbrauch ist ebenfalls nicht mehr zeitgemäß. Beide Kritikpunkte sind m. E. die Folge einer mittlerweile veralteten Technik. Für den gleichen Preis bekommt man auch hochwertige Dual-Boiler-Maschinen (z. B. Dallacorte Super Mini), die sich technisch auf dem neuesten Stand befinden und das Überhitzungsproblem nicht haben. Und wer neben moderner Technik den ultimativen Look und die ultimative Verarbeitungsqualität sucht, legt noch 2000 € drauf und kauft sich gleich die Speedster von Kees van der Westen. Das nenne ich dann wirklich eine Geldanlage.
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