Im Test: Graef ES 90

Der Maschinist vs. Graef ES 90

Und wieder mal der Maschinist. Dieses Mal hat er eine sehr interessante Maschine für uns getestet, über die im Internet schon so einiges zu finden ist. Hält sie, was über sie berichtet wird?Graef ES 90 Siebträger

Hand aufs Herz: Kennen Sie einen Autohersteller, der nebenher auch formschöne Schuhe entwirft? Oder einen Computerprodu­zen­ten, der gute Waschmaschinen im Sortiment hat? Nicht? Eben. Entsprechend groß war die Skepsis, als eine auf Allesschneider abonnierte Firma aus dem Sauerland Ende letzten Jahres plötzlich mit Espressotech­nik um die Ecke bog. Doch der Erfolg gibt Graef Recht. Zumindest die Mühle namens CM 80 ist wegen ihres hervorragenden Preis-Leistungsverhältnisses längst ein Renner. Grund genug, mit der Graef ES 90 das Siebträger-Topmodell unter die Lupe zu nehmen …

Erstkontakt
Aber woher nimmt ein branchenfremdes Unternehmen bloß das Know-how, ein derart abgestecktes Feld wie das Sieb­träger-Segment von hinten aufzurollen? Des Rätsels Lösung: australische, in Fern­ost produzierte Technik in neuem Ge­wand. Was Graef als Eigenmarke verkauft, kennt man nämlich Down Under seit Jahren unter dem Namen Sunbeam. Beide Sieb­träger­modelle sowie auch die Kegelmühle sind dort etablierte und markterprobte Produkte.
Doch markterprobt hin oder her: Einen Schönheitspreis gewinnt ver­mutlich keines der drei im Netz viel gepriesenen und-diskutierten Geräte. Speziell die ES 90 wirkt auf Anhieb klobig und wenig elegant. Dies mag schlicht daran liegen, dass man ihr Alumini­um- Edelstahlgehäuse erst bei näherem Hinsehen auch als solches erkennt aber zunächst auf schnödes Plas­tik tippt.

Dabei gibt es an der Verarbeitung eben­so wenig zu mäkeln wie an der üppigen Zu­sat­z­ausstattung: Neben den zwei obligatorischen Sieb­einsätzen, die Graef jeweils um eine doppelbödige Alternative für gröbere Mahlungen erweitert hat, gehören eine formschöne Milchschäumkanne aus Edelstahl, ein nicht allzu schwerer, aber zweckmäßiger Tamper, ein Reinigungsset sowie eine zu­sätzliche Milchschaumdüse zum Lieferumfang. Kom­plettiert wird das Ganze durch eine sehr ausführliche, klar strukturierte Bedienungsanleitung. Gut so!
Ein Espresso mit der Graef ES 90 zubereitet

Von außen nach innen
Auch die weiteren Grundvoraussetzungen für gelungene, weil tem­peraturkonstante Espresso-Shots werden erfüllt. So macht die Brühgruppe der ES 90 einen massiven Eindruck und besitzt das in der Gastronomie verbreitete Standardmaß von 58 mm Sieb­durch­messer. Der mitgelieferte 2er-Siebträger aus verchromtem Mes­sing wirkt ebenfalls solide, liegt gut in der Hand und lässt sich oh­ne Hakeln und allzu grobe Gewaltanwendung sauber einspannen. Gleiches gilt für die stabilen, dank Kugellagerung um 360° schwenk­baren Dampf- und Heißwasserlanzen. Betankt wird die Ma­schine, in deren Innerem statt eines traditionellen Boilers zwei se­parate Thermoblöcke für Brühtemperatur und Heißdampf/-was­ser ihren Dienst versehen, entweder von oben durch eine kleine Plastikklappe – oder aber über eine rückwärtig installierte Edel­stahltür, hinter der sich der nach hinten herausziehbare 3l-Wasser­tank verbirgt. (letzteres wird man in der Praxis wohl oder übel aufs Nötigste beschränken, da die Prozedur immer ein Ab­rücken des Geräts erfordert).

Wasserführende Schläuche sucht man hier vergebens, da Graef – analog etwa zu Rocket Es­­pres­so oder ECM – auf ein Ventilsystem setzt. Die verbaute Elek­tronik eröffnet dem Nutzer ein wei­tes, in dieser Preislage ein­maliges Spek­trum an Möglichkeiten, an­ge­fan­gen bei einer volumetrischen Do­­sierung mit zwei frei programmierbaren Tas­sen­längen über ein Rei­ni­gungs­pro­gramm zur Er­leich­terung der Blind­sieb-Pro­zedur bis hin zu in Zwei-Grad-Schritten an­­heb­­baren bzw. absenkbaren Tem­pe­raturen für Brüh­druck, res­pek­tive Heiß­dampf. Den Rotstift angesetzt haben die In­gen­ieure hingegen an anderer, recht ärgerlicher Stelle. So misst das Stromkabel inklusive Stecker gerade mal lächerliche 83 (!) Zen­ti­meter – was im Alltag bestenfalls ausreichen mag, wenn sich exakt hinter der Maschine zufällig eine Steckerleiste befindet. Ein bisschen halbgar wirken auch die beiden seitlich angebrachten Plastikdrehknöpfe, über die Heiß­was­ser und -dampf ge­steu­ert werden. Aber was soll’s. Entscheidend ist bekanntlich auf dem Platz, wie wir vom Fußballfeld wissen.

Mitgeliefertes Zubehör der Graef ES 90

Auf Herz und Nieren
Der Praxistest startet mit einem gerüttelt Maß an Verwirrung. Denn während die Anleitung ein rot blinkendes Licht ankündigt, morst die Graef munter in Grün drauflos. Nanu?! Um ein Haar hät­ten wir sie vorsichtshalber wieder ausgeschaltet, doch dann kommt plötzlich Bewegung in die Sache: Es klickert und rumpelt, kurz danach gekrönt von Furcht einflößendem Gequiet­sche. Nach nur zwei Minuten ist die Maschine theoretisch betriebs­bereit (jetzt leuchtet der ominöse Power-Knopf rot statt – wie versprochen – grün), nach etwa fünf Minuten kann es, Leer­bezug zum Anwärmen des Siebträgers vorausgesetzt, auch faktisch losgehen.

Was sofort auffällt: Die Graef ist ziemlich laut und sie tönt – man muss das offen aussprechen, auch wenn es wehtut – beinahe wie ein Vollautomat. Jeder Kaffeebezug wird durch ein Anlaufnehmen angekündigt („möp, möp, möp“), gefolgt von einem langgezogenen Knattern (mööööööööppp). Fürwahr, sexy geht anders. Das Ergebnis kann sich gleichwohl auf Anhieb sehen lassen: 15 Gramm La Tazza d’oro „Gran Miscela“ aus Cagliari werden im Dop­pelsieb und bei ab Werk vor­eingestellten 92 °C Brüh­tem­­peratur prompt zu einem ansehnlichen und wohlschmeckenden Espresso mit üppiger ha­sel­nussbrauner Crema. Die Vo­lu­metrik erweist sich mit 30 ml Tas­senlänge ebenfalls als passgenau eingetaktet; lediglich der Doppelte kommt etwas arg lang, was sich dank der intuitiven Bedienung über die gummierten Tasten aber leicht angleichen lässt. Und auch als ein reiner Brasiloro-Arabica in vene­zianisch-heller Röstung im zweiten Versuch zu sauer gerät, schaffen ein paar Tastendrucke rasch Abhilfe: Flugs den Thermoblock um zwei Grad nach oben gepegelt – fertig. Schon entfalten sich die für den traditionell über Buchenholz gerösteten blendtypischen Nuss-Mandel-Aromen. In der Tat: ein spannendes Extra nicht nur für Kontrollfreaks.

Problematischer gestaltet sich da definitiv der Heißwasserbezug, der in enervierenden Schüben Spritzer für Spritzer vor sich geht und zudem mit ca. 60 °C viel zu lauwarm ausfällt. Das sabotiert nicht nur die Teebereitung; unter diesen Vorzeichen fällt sogar das Vorwärmen der Tassen schwer. Spätestens beim Milch­schäu­men zeigt sich dann die wahre Achillesferse der Thermoblocktechnik: Zunächst vernimmt man ein müdes Röcheln, einzelne Tropfen treten aus. Dann nimmt die Graef langsam Fahrt auf. Nach einer knappen Minute – Graef rät gar, generell nicht länger zu dampfen (!) – bildet sich gerade mal ein lauwarmes Schäum­chen. Da hilft auch die Temperatursteuerung des Heißdampfther­mo­blocks nicht viel. Schade. Am Ende ist selbst mit viel Ausdauer bestenfalls befriedigender Milchschaum zu erzielen – von Latte-Art-fähiger Crème ganz zu schweigen. Dieses Manko empfiehlt die ES 90 bei Licht betrachtet nur für reine Espressotrinker oder Käufer, denen es in der Schaum-Kategorie auf keine allzu großen Sprünge ankommt. Alle anderen sind sogar mit einem traditionellen Einkreiser à la Rancilio Silvia besser bedient, der erheblich mehr Hub entfaltet. Der rechnerische Vorteil der simultan möglichen Schäumerei – für viele vermutlich Kaufgrund Nummer eins – ist jedenfalls mehr oder weniger dahin.

Resümee
Mit der ES 90 bietet Graef einen toll ausgestatteten  und verarbeiteten Thermoblock-Siebträger an, der in erster Linie Käufer ansprechen dürfte, denen Bedienkomfort und Schnelligkeit ein zentrales Anliegen ist – und die sonst womöglich doch wieder zu einem Vollautomaten gegriffen hätten. Ihr Wagemut wird belohnt mit einem Espresso, der jede Jura, DeLonghi oder Saeco in die Schranken weist. Dank der Möglichkeit, die Brühtemperatur zu justieren, sind selbst komplexere Arabicas leicht zu handhaben. Einzig die doch relativ bescheidene Dampfqualität sowie das bestenfalls lauwarme Heißwasser fallen negativ aus dem Rahmen und prädestinieren die ES 90 nicht gerade für die Cappuccino- und/oder Latte-macchiato-Fraktion. Ernsthaft: Auf diesem Gebiet kann jeder kleine Einkreiser merklich mehr. Sollte Graef hier indes noch etwas nachbessern können, hat die Maschine zweifellos das Zeug zum Klassenprimus.

Für die Graef ES 90 spricht:

  • gute Espressoqualität
  • extrem schnelle Aufheizzeit (ca. 5 Min.)
  • umfangreiches Zubehör inklusive
  • viel Komfort durch Dosierautomatik und Steuerung der Brühtemperatur
  • intuitive Bedienung
  • günstiger Anschaffungspreis

Steckbrief

»Maße: (Breite/Höhe/Tiefe in cm) 33 x 37 x 33

»Gewicht: 15,5 kg

»Leistung: 2.200 – 2.400 Watt

»Kessel: entfällt, da Thermoblock

Features

»Dosierautomatik

»automatisches Reinigungsprogramm

»Doppel-Thermoblocksystem für simultane Kaffee-, Heißwasser- und Dampfentnahme

»beide Thermoblöcke separat temperatursteuerbar

»Brühdruckmanometer

»Energiesparmodus

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1 comments
  1. die Dampfleistung ist nicht so schwach, wie der Tester es beschreibt. Hatte vorher eine Saeco Aroma, und mehrere Vollautomaten, aber dieser Cappuccino war vorher nie erzielbar. Die Lautstärke stört mich ebenfalls, aber ein Italiener bemerkte heute, das höre sich eigentlich gerade ganz kultig an. OK, vielleicht beschönigt mir diese Aussage den Kauf weiterhin. Und: die beiden Drehknöpfe für Dampf und Heißwasser sind übrigens aus anständigem gummiertem Hartkunststoff, und ordentlich groß und selbsterklärend gestaltet. Gut. Achtung: verwenden Sie nur Brita gefiltertes Wasser, dann nie Kalkprobleme. Übrigens wird die Maschine (Ganzmetallgehäuse) ziemlich heiß, also Tassenvorwärmung gut, aber im Winter kann man sich damit seine Küche heizen… oder nach dem Frühstück sofort abschalten…

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