Alles was man als Einsteiger auf dem Weg zum Espresso wissen muss:
Vom ersten Espresso zum „Godshot“
Autor Ruben Quaas
Die Maschine brummt im sonoren Bass. Bald zittern die ersten Tropfen des braunen Goldes am Auslauf des Siebträgers, fallen in die Tasse. Aus den Tropfen wird ein Strahl, der sich wie ein kleiner Mäuseschwanz krümmt und gleichmäßig in die Tasse strömt. Nach einer halben Minute ist der Espresso fertig – und diesmal hat alles geklappt, was klappen konnte: Die Crema ist stabil, haselnussbraun und leicht marmoriert, die Espressotasse halb gefüllt und der Duft umwerfend. Der erste Schluck bestätigt: Dieser Espresso ist perfekt.
Amerikanische Espressojünger haben für einen solchen Glücksmoment natürlich längst den passenden Begriff gefunden und sprechen vom „Godshot“. Aber selbst dem Profi gelingt er nicht immer, dem Einsteiger scheint er manchmal fast unmöglich. Wir zeigen Ihnen den direktesten Weg zum perfekten Espresso. Wie muss er denn schmecken, ein solcher perfekter Espresso?
Wer schon mal mit italienischen Behörden zu tun hatte, weiß, dass die Bürokratisierung südlich der Alpen fast schlimmer ist als hierzulande. Und so liegt es auf der Hand, dass auch der Espresso normiert wurde. Das INEI, Istituto Nazionale Espresso Italiano, hat sich um eine Definition bemüht. Demnach müssen 20 bis 30 Milliliter Wasser mit einer Temperatur von 86 bis 90 Grad Celsius und unter einem Druck von 8 bis 10 bar in 20 bis 30 Sekunden durch 6,5 bis 7,5 Gramm feingemahlenes Espressopulver gedrückt werden. Klingt ziemlich kompliziert.
Espresso ist Geschmacksache
Einfacher ist die Regel von der Crema, die den Zucker drei Sekunden halten muss. Doch es gibt Espressosorten, die wenig Crema entwickeln, aber trotzdem sehr gut schmecken (abgesehen davon, dass nicht jeder seinen Espresso mit Zucker trinkt). Seien wir ehrlich, was zählt ist der eigene Geschmack – und der ist so unterschiedlich wie die verwendeten Maschinen, Bohnen und Zubereitungsmethoden. Ein perfekter Espresso ist also ganz einfach dann in der Tasse gelandet, wenn er einem selbst perfekt schmeckt.
Der eine mag ihn als Ristretto, also mit wenig Wasser und fast sirupartig, der andere als Lungo, etwas dünner, der nächste trinkt seinen Caffè lieber säuerlicher, der letzte mild. Um diese Feinheiten eines Espressos dem eigenen Geschmack genau anpassen zu können, müssen viele Parameter manuell eingestellt und angepasst werden. Auch wenn die vollautomatischen Geräte auf Knopfdruck Espresso und Cappuccino machen können und so ein Maximum an Komfort darstellen: Um einen genau auf den eigenen Geschmack abgestimmten Espresso zu brühen, braucht man eine klassische Siebträgermaschine, eine gute Mühle, hervorragende Bohnen und einige Erfahrung.
Der Barista spricht von den „vier M“: la macchina – die Maschine –, la macinatura – die Mahlung –, la miscela – die Bohnenmischung und la mano – die Hand. Beginnen wir also bei der Hardware, der Maschine, der Mühle und dem nötigen Zubehör. Wer noch keine macchina hat, kann aus einer riesigen Auswahl an Geräten namhafter Hersteller in allen Preisklassen wählen.
Das passende Equipment
Wer in kleineren Mengen Espresso trinkt, ist mit einem Einkreisgerät zufrieden, wer viele Leute verköstigen will und oft Cappuccino macht, braucht ein Zweikreisgerät oder gleich einen Dualboiler und wer es völlig puristisch mag, greift zum Handhebelgerät. Daneben muss eine Mühle gestellt werden – und zwar eine gute, mit Mahlscheiben ausgestattete. Mittlerweile findet man auch solche Geräte schon zu vergleichsweise günstigem Preis – eine gute Mühle ist für den Espresso wichtiger als eine gute Maschine. Zum ganzen Glück fehlt anfangs nun eigentlich nur noch ein Utensil: ein Tamper, mit dem das Kaffeepulver im Sieb angedrückt wird. Tamper gibt es in den verschiedensten Ausführungen.
Nützlich ist außerdem eine elektrische Feinwaage mit 0,1-Gramm-Abstufungen, wie sie mittlerweile in vielen Küchen zu finden ist. Die Wahl der miscela, der richtigen Bohnen, ist im Grunde nicht schwer, auch wenn die Auswahl riesig ist. Fast jeder Kaffeehersteller hat mittlerweile Espresso im Sortiment. Vielleicht findet man auch beim Italiener um die Ecke oder im kleinen Kaffeelädchen einen Geheimtipp aus Italien.
Kaffeebohnen direkt vom Röster
Unbedingt probieren sollte man auch die Espressi der regionalen Kleinröstereien. Deren Vorteil ist die absolute Frische der Ware, denn für Espresso gilt: Je frischer der Kaffee, desto besser das Ergebnis. Und frisch meint hier nicht den Zeitpunkt seit dem Kauf, sondern die Zeit, die die Röstung zurückliegt. Wie auch immer man sich entscheidet, man sollte anfangs möglichst mit einer Bohnensorte experimentieren, um vergleichbare Ergebnisse zu haben.
Die besten Bohnen für Deinen Siebträger gibt es bei kleinen Craft-Röstereien in Deiner Nähe. Im Röster-Guide findest Du die passende Adresse dazu…
Wenn dann die erste Erfahrung da ist, kann man sich durch alle Bohnensorten probieren, die aufzufinden sind und alle Geschmacksrichtungen von marzipanig über schokoladig-nussig bis blumig kennenlernen. Auch wenn die meisten Espressomischungen aus reinen Arabicamischungen gemacht werden, ist ein Anteil an Robustabohnen kein Negativmerkmal, sondern ergänzt den milden Geschmack der Arabicabohne oft durch etwas erdigere Nuancen. Nun fehlt also noch la mano, die Fähigkeit des Barista und damit der wichtigste Teil eines „Godshots“.
Grundregel 1
Der Geschmack des Espressos hängt sehr von der Wassertemperatur ab. Zu kalt gebrüht schmeckt er sauer, zu heiß bitter. Und da ja beim Espresso nur eine so kleine Menge Wasser durch das Kaffeepulver gepresst wird, kühlt dieses sehr schnell ab, wenn nicht alles, mit dem der Espresso auf dem Weg in den Mund in Berührung kommt, gut durchgewärmt ist. Zuerst muss natürlich die Maschine wirklich heiß sein: Einkreis- und Handhebelgeräte brauchen dazu etwa 15 Minuten, Zweikreis- und Dualboilergeräte etwa 30 Minuten. Beim Zweikreisgerät wird übrigens das Brühwasser mit der Zeit konstruktionsbedingt etwas zu heiß, daher muss unmittelbar vor dem Bezug das kochende, leicht „sprotzelnde“ Wasser abgelassen werden. Lassen Sie den Siebträger eingespannt, während die Maschine aufheizt, damit auch dieser heiß wird. Damit sind alle Teile der Maschine aufgewärmt. Zuletzt muss natürlich auch die Tasse auf Temperatur sein. Kurz vor dem Bezug wird sie daher mit heißem Wasser gefüllt.
Nun kann es losgehen. Wie schon geschrieben ist es besonders anfangs wichtig, möglichst viele Parameter konstant zu halten. Das einzige, was zu Beginn angepasst werden soll, ist der Mahlgrad der Bohnenmühle, mit dem sich bei kleinen Änderungen am besten der Geschmack des Espressos anpassen lässt. Die erste Grundeinstellung ist relativ einfach: Die leere Mühle wird eingeschaltet und der Mahlgrad so lange feiner gestellt, bis ein Klirren zu hören ist. Dies ist für die Mühle ungefährlich und bedeutet, dass die Mahlscheiben aufeinander schleifen, also der Nullpunkt erreicht wurde. Nun wird der Mahlgrad wieder ein kleines Stück in Richtung grob gestellt, die Mühle ausgemacht und Bohnen eingefüllt. Mahlen Sie so lange, bis ziemlich genau 7,5 Gramm Espresso im Siebträger sind. Bald werden Sie merken, dass schon kleine Mengenabweichungen großen Einfluss auf den Espressogeschmack haben, daher sollten Sie anfangs die Grammzahl möglichst genau treffen.
Grundregel 2
Das Wasser sucht sich den leichtesten Weg. Da das Wasser mit hohem Druck durch den Espresso gepresst wird, muss ihm ein gleichmäßig gemahlenes und angedrücktes Kaffeepulver entgegengesetzt werden. Ist das Pulver, im Profilatein gesagt, ungleichmäßig verdichtet, wird das Brühwasser dort durchlaufen, wo es am wenigsten Widerstand findet, wer schon mal am Grand Canyon stand, weiß, wovon die Rede ist. Dies bedeutet, dass an manchen Stellen viel zu wenig Aromen gelöst werden, an anderen viel zu viel unerwünschte Bitterstoffe. Das Ergebnis ist dann ein zugleich wässrig und bitter schmeckender Espresso. Daher ist eine gute Mühle so wichtig, denn billige Mühlen produzieren kein gleichmäßiges Mahlgut (auch wenn es oft gleichmäßig aussieht) und Kaffee verliert gemahlen besonders schnell sein Aroma. Zudem muss das Kaffeepulver angedrückt werden, was mit dem Tamper geschieht. Dieser sollte möglichst millimetergenau in das Sieb passen und aus massivem Material sein. Kaufen Sie daher einen auf Ihre Maschine zugeschnittenen Tamper.
Durch leichtes Aufklopfen des Siebträgers vor dem Tampern wird eine Verteilung des Pulvers im Sieb erreicht. Nun wird der Tamper aufgesetzt und das Pulver angedrückt. Der Anpressdruck ist ein entscheidender Faktor bei der Espressoherstellung, doch wie eingangs geschrieben, sollen am Anfang bis auf den Mahlgrad alle Parameter konstant bleiben. Mit Hilfe einer Waage wird dies kontrolliert. Drücken Sie so fest, dass die Waage 15 Kilogramm anzeigt. Endlich ist der große Moment gekommen, denn der Siebträger kann eingespannt, die aufgewärmte Tasse bereitgestellt und der Bezug gestartet werden. Perfekt wäre es, wenn die Pumpe brummt, leiser wird und sich dann nach einigen Sekunden die ersten Tropfen am Auslauf zeigen, die bald zu einem dünnen Strahl werden, dem beschriebenen Mäuseschwänzchen.
Finetuning
Dieser Strahl soll möglichst in 25 bis 30 Sekunden eine Espressotasse zur Hälfte füllen. Dies ist genau die Zeit, in der alle wichtigen Aromen gelöst werden, ohne dass der Espresso bitter wird. Doch leider wurde vor den Genuss die Arbeit gesetzt, denn in den meisten Fällen wird das Ergebnis am Anfang nicht den Erwartungen entsprechen. Daher muss der Mahlgrad angepasst und die ganze Prozedur wiederholt werden. Lief der Espresso zu schnell durch, stellen Sie den Mahlgrad feiner, lief er zu langsam, logischerweise gröber. Bald sollten Sie eine gute Einstellung gefunden haben. Wenn nun der Espresso trotzdem nicht schmeckt, können verschiedene Gründe in Frage kommen. Ist der Espresso zu sauer, war möglicherweise die Wassertemperatur zu niedrig, dann muss die Maschine länger aufheizen. Lief der Espresso trotz aller Anpassungen an der Mühle zu schnell durch, schmeckt sehr bitter oder ist die Crema zu dünn, war möglicherweise der Espresso nicht frisch genug.
Bei einem Zweikreisgerät kann auch die Wassertemperatur zu hoch sein, dann müssen Sie vor dem eigentlichen Bezug noch etwas mehr Wasser ablassen. Zeigen sich nach dem Bezug im „Puck“, also dem feuchten Kaffeesatz im Sieb, bereits Löcher, kann dies ebenfalls auf zu alten Kaffee oder ungleichmäßig gemahlenes oder angedrücktes Mahlgut hindeuten. Versuchen Sie, diese Fehlermöglichkeiten abzuarbeiten und den Mahlgrad so lange zu verändern, bis ihnen das Ergebnis in der Tasse am besten schmeckt. Wenn Sie jetzt mit Ihrer Vorbereitung so weit sind, können Sie mit der Anpassung der anderen Parameter beginnen.
Grundregel 3
Kleine Änderungen haben stets eine große Auswirkung. Wenn Sie den Espresso etwas intensiver, also als Ristretto mögen, füllen Sie in den 30 Sekunden nur ein Viertel der Espressotasse. Um dies zu erreichen, muss dem Wasser mehr Widerstand entgegengesetzt werden, also der Mahlgrad feiner gestellt, der Anpressdruck oder die Kaffeemenge leicht erhöht werden. Für einen etwas schwächeren, weniger intensiven Espresso, Lungo genannt, läuft es genau umgekehrt.
Versuchen Sie, nach und nach Kaffeemenge, Wassermenge, Anpressdruck und Durchlaufzeit so anzupassen, dass Ihnen das Ergebnis am besten schmeckt.
Da jede Espressosorte völlig unterschiedlich gebrüht werden muss, sollten Sie Ihren Kaffee als Letztes wechseln, wenn Sie wissen, wie sich die Änderung der anderen Parameter auswirkt, wie Sie auf welches Problem reagieren müssen und wie Sie welche Nuancen besser hervor „kitzeln“ können. Dann stehen Ihnen alle Türen zur Entdeckungsreise durch die Vielfalt der Espressokultur offen. Wenn alles perfekt lief, hat der Espresso die haselnussbraune, leicht marmorierte Crema und schmeckt hervorragend. Haben Sie dies erreicht, ist er geschafft, der erste „Godshot“. Und mit der Erfahrung, die Sie haben, lassen Sie auch bald den nächsten folgen.