Enrico Maltoni sammelt. Doch während andere Menschen Briefmarken in ein Album klemmen oder auf Flohmärkten nach Schallplatten suchen, hat sich Maltoni auf größere Kaliber verlegt: gewichtige, hübsche, seltene Bar-Kaffeemaschinen. Seine Sammlung ist inzwischen weltweit gefragt.
Text & Fotos: Sandro Mattioli
> Heute sehen sie eigentlich nur noch aus wie Kästen. Silberne Maschinen mit Knöpfen dran, mit viel Glück einmal mit einem Hebel. Anders als früher. Heute sind es designfreie Arbeitsautomaten. Kisten, die Kaffee kochen. Enrico Maltoni würde nie so über Kaffeemaschinen sprechen. Dafür liegen ihm die Geräte viel zu sehr am Herzen. Dafür ist er mit seinen 39 Jahren viel zu jung. Und dafür ist er zu zurückhaltend, Maltoni behält seine Meinung lieber für sich. Er ist schließlich Sammler, Wissenschaftler, Experte, Buchautor, Archivar, wie immer man es nennen mag. Aber kein Kaffeemaschinenkritiker. Doch wer mit ihm durch sein Magazin geht und sich seine Schätze beschreiben lässt, weiß bald, dass ihn das Verkanten traurig stimmt.
Sein Magazin ist eine unscheinbare Lagerhalle irgendwo in der Emilia-Romagna, einem Städtchen zwischen Bologna und Rimini, zwischen Häusern und kleinen Gärten. Ein grauer Bau, mit einem stabilen Zaun umgeben und gesichert. Ein paar herrlich rund geschwungene Geräte stehen da, mit Eleganz, Stil und Charme. Es sind die Maschinen, die vielleicht bald Teil seiner Sammlung werden. Oder die er weiterverkauft. Es liegt Staub am Boden, Licht fällt durch die offen stehende Tür, Kisten begrenzen den Weg, rechts und links sind Regale angebracht, die Ordnung schaffen sollen und es doch nicht können. Nichts deutet darauf hin, dass sich hier das gut organisierte Gedächtnis der italienischen Kaffeeszene versteckt und doch ist es so: Enrico Maltoni hat im Laufe von mehr als zwanzig Jahren eine Kollektion zusammengetragen, die ihresgleichen sucht. Sein Lebenswerk ist die Dokumentation der Entwicklung des Kaffeewesens in Italien. Über hundert seltene Espressomaschinen hat er in seinem Besitz, dazu Patente, Prospekte, Fotographien und Zeitungsausschnitte. Maltoni weiß, wann der Kaffee zum ersten Mal in Italien erwähnt worden ist – und er hat das entsprechende Buch dazu im Regal stehen, mit dem Titel „Deplantis Aegypti“ von dem venezianischen Arzt Prospero Alpini aus dem Jahr 1592. Maltoni weiß, wann die Crema auf den Espresso kam – und er besitzt die erste Maschine, die das ermöglichte, nämlich die Gaggia Classica aus dem Jahre 1948. In dem Lager sieht man freilich wenig vom Glanz und der Schönheit von Maltonis Sammlung. Schwere und stabile schwarze Kisten verbergen die wertvollen Geräte. „Jedes dieser Cases kostet mich fünfhundert Euro“, sagt Enrico Maltoni, während er sich auf eine der Kisten stützt. Die Behälter wurden maßgefertigt für jede einzelne Maschine. Da seine Sammlung oft auf Reisen ist und vor allem, weil manche der Maschinen heute Unikate sind, ist es ihm diese Investition wert. Am Anfang seiner Sammelleidenschaft standen unzählige Flohmarktbesuche. „Mich hat vor allem das Design der alten Maschinen fasziniert“,
berichtet Enrico Maltoni. Also ist er am Wochenende ins vier Stunden entfernte Rom gefahren und hat auf dem dortigen Flohmarkt nach Kaffeememorabilia und vor allem nach Maschinen gesucht. Auch dem toskanischen Arezzo stattete er häufig einen Besuch ab. Die Stadt ist eine Art Antikmetropole von Italien, regelmäßig veranstaltet die Kommune entsprechende Märkte. Seine erste Maschine hat Enrico Maltoni dort erstanden, es war eine Famea, Modell „Marte“, Baujahr 1950. „Mir hat vor allem das Design der Maschine gefallen, die sah mit ihrem vergoldeten Grill aus wie der Kühlergrill eines alten Alfa Romeo“, berichtet er heute. Damals waren die Maschinen noch nicht arg gesucht und damit nicht so teuer. „Die kosteten alle umgerechnet zwischen 80 und 150 Euro.“ Geld, das sich Enrico Maltoni, damals 18 Jahre alt, in einem Bekleidungsgeschäft verdiente. „Ich kaufte das Gerät damals wegen des Aussehens. Die Entdeckung der Geschichte und die technischen Besonderheiten der Maschinen wurden mir erst später wichtig.“ Mit der „Marte“ war die Lust auf das antike Gerät aber keineswegs gedämpft, vielmehr stieg im Kessel der Leidenschaft der Druck. Im Laufe der folgenden Jahre wurde Maltoni vom Passionierten zum Jäger exklusiver Stücke. Er knüpfte eine Menge Kontakte zu anderen Kaffeeverrückten und zu Händlern und er baute ein Netz mit Informanten auf. Im Jahre 2000 beschloss er, seine Sammlung auch anderen zugänglich zu machen: Auf der Seite www.espressomadeinitaly.com lassen sich Bilder seiner Maschinen betrachten, es finden sich Reproduktionen von einigen seiner Dokumente, außerdem Links zu jeder Menge informativer Seiten. „Meine Homepage hat mir auch geholfen, Kontakte in der Szene aufzubauen. Dank ihr kommen öfter Leute direkt auf mich zu, wenn sie eine Maschine verkaufen wollen.“ Heute sieht Enrico Maltoni oft in verdutzte Gesichter, wenn er sagt, dass er Sammler von Beruf sei. Doch es stimmt, Maltoni tut nichts anderes. Geht seine Sammlung auf Reisen, reist auch er. Dann sitzt er jeden Tag am Stand, passt auf seine Schätze auf und erklärt den Menschen, was das Tolle an der italienischen Kaffeekultur ist und wie es dazu kam. Drei Kontinente hat er schon besucht, seine Maschinen waren in Brünn in der Tschechischen Republik zu sehen, im thailändischen Bangkok, in Venezuela und in Israel. Insgesamt 42 Ausstellungen in zehn Staaten hat er schon hinter sich. 39 Jahre ist er alt, die Haare kurz geschoren. Er hat eine schöne, edel ausgestattete Wohnung. Und er genießt sein Leben, die schönen Dinge und das Essen. Seine Freundin hat ihn jetzt auf Diät gesetzt; ihm ist es ganz recht: „Ich habe ja schon etwas Bauch angesetzt“, sagt er.
Der Kaffeeröster Lavazza aus Mailand unterstützt ihn finanziell, ein wesentliches Einkommen bringen auch die Buchverkäufe. Maltoni hat jüngst die Geschichte des Kaffeemaschinenbauers Faema aufgeschrieben. Ein opulentes bildreiches Werk mit 400 Seiten wurde daraus. Seine Geschichte des Kaffees in Italien, „Espresso made in Italy 1901 – 1962“ erscheint inzwischen in der dritten Auflage. Derzeit arbeitet Maltoni an einem Buch über die Geschichte des Kaffees von Anbeginn bis heute. Unterstützung bekommt er von dem befreundeten Sammler Mauro Carli – befreundet wohl deshalb, weil dieser nur Caffèttieren sammelt und ihm somit nicht in die Quere kommt. In dem Buch werden Maschinen aus der Zeit von 1500 bis zur Gegenwart abgebildet sein, im November soll das Werk erscheinen. „Bücher zu machen lohnt sich“, sagt Enrico Maltoni. „Die Welt des Kaffees ist eine Welt ohne viele Informationen.“ Und dann sind da noch die Erlöse aus Verkäufen von Maschinen. „Ich tausche manchmal Maschinen aus“, sagt Maltoni. Findet er von einem Modell eine seltenere Variante, muss das alte Sammelstück weichen. „Mein Glück ist, dass ich in den Neunzigerjahren viele Maschinen für 100.000 oder 300.000 Lire gekauft habe“, sagt Maltoni, also umgerechnet 50 bis 150 Euro. Heute sind die Maschinen mehr wert und damit auch teurer. Im Dezember hat er sechs Geräte auf einen Schlag gekauft und dafür 14.000 Euro ausgegeben. „In der Tat stehe ich finanziell immer unter Druck“, berichtet Maltoni. 70 bis 80 Prozent der Maschinen, die ihn interessieren, könne er kaufen, für die anderen fehlten ihm die Mittel. Und wenn einer der schwerreichen Sammler, die er kenne, in den Bieterkampf einsteige, könne er nach Hause gehen. Maltoni pflegt deshalb auch sein Informantennetz besonders gut: um vor anderen von einembevorstehenden Verkauf zu erfahren. Viele Geräte hat Maltoni in Deutschland erstanden. Als seine Ausstellung im Februar 2008 in Stuttgart Station machte, kam er mit drei neuen alten Maschinen nach Italien zurück. „Viele Auswanderer haben einst ein Restaurant eröffnet und eine Kaffeemaschine importiert. Heute stehen die oft noch irgendwo im Keller herum“, sagt Maltoni.
Seine Sammlung veränderte sich im Laufe der Zeit. Früher legte Maltoni den Schwerpunkt auf Maschinen im Jugendstil, derzeit interessieren ihn moderne Maschinen aus den Achtzigerjahren mehr. Die frühen Geräte aus der Jugendstilzeit sind alle säulenförmig. Diese Maschinen gehen auf ein Modell aus der Werkstatt des Ingenieurs Luigi Bezzera in Mailand zurück: eine viergruppige Maschine, die mit einem Boiler versehen war. Der Kaffee in der Brühgruppe wurde nicht nur mit Wasser unter Druck durchströmt, sondern auch mit Dampf. Über Ventile musste der Barista die Anteile von Wasser und Dampf regeln, eine komplizierte Arbeit. Dennoch fand dieses neue Prozedere damals großen Anklang, auch, weil es eine gleichmäßigere Qualität des Kaffees ermöglichte. Im Jahre 1901 war dieses Prozedere patentiert worden, 1903 kaufte der Kaffeemaschinenhersteller Pavoni das Patent und war zwei Jahre später mit einer eigenen, serienmäßig gefertigten Maschine auf dem Markt (die sich natürlich ebenfalls in Enrico Maltonis Sammlung befindet). Das größte Verdienst von Luigi Bezzera ist, mit diesem Prozedere auch eine neue Kaffeeart erfunden zu haben, den Espresso. Eine Abschrift des aus diesem Grund so wichtigen Patents hat Enrico Maltoni natürlich in seinen Unterlagen. Es war die Maschine von Bezzera, die den Grundstein legte für eine beispiellose Erfolgsgeschichte, nämlich die des Kaffees aus Italien. Ein weiterer wesentlicher Entwicklungsschritt kam erst viele Jahre später hinzu, die Crema. Das Verfahren dazu war zwar schon im Jahre 1936 entwickelt worden, der Erfinder verstarb jedoch wenige Jahre später, wie Enrico Maltoni in seiner Unternehmensgeschichte des Kaffeemaschinenherstellers Faema schreibt. Die Witwe des Erfinders, Rosetta Scorza, versuchte in der Folgezeit, das patentierte Verfahren zu verkaufen. In dem Mailänder Barbesitzer Giovanni Achille Gaggia fand sie schließlich einen Verbündeten, er kaufte ihr das Patent für 12.000 Lire ab, damals viel Geld. Zusammen mit Carlo Ernesto Valente, dem Gründer des Unternehmens Faema, produzierte er im Jahre 1948 die ersten Kaffeemaschinen, die Modellreihe Classica, die die Crema produzieren konnten. Die Kriegswirren verhinderten, dass der bräunliche Schaum und damit bisher nicht aus den Bohnen gelöste Aroma- und Duftstoffe schon früher auf dem Espresso zu finden waren. Auch dieser Teil der Geschichte fehlt nicht in Enrico Maltonis Ausstellung.