Botanik und -Varietäten

Wo wächst Kaffee? Was ist der Unterschied von Arabica und Canephora? In unserer Serie stellt uns der crema-Autor und Kaffeeexperte Dr. Steffen Schwarz die wichtigsten Wissensgrundlagen für alle, die beim Thema Kaffee mitreden möchten vor.

Als ich vor nunmehr fast 20 Jahren mit den ersten Schulungen in der Kaffeebranche begann, erschien es vielen nahezu grotesk, Kaffeefortbildungen anzubieten. Heute bestehen international diverse Schulungszentren, Schulungsanbieter und -systeme. Alles wird inzwischen angeboten, vom Handel mit bunten Zertifikaten, erfahrungsorientierten Best-Practice-Schulungen bis zu naturwissenschaftlich basierten Fortbildungen. Mein Ansatz von Schulungen war schon immer naturwissenschaftlich festgelegt. Insofern erstaunt es inzwischen niemanden mehr, dass wir in meinem Schulungsinstitut „Coffee Consulate“ von C. Arabica und C. Canephora sprechen und nicht von Arabica und Robusta. Auch C. Liberica gibt es bei uns – und nicht nur als graue Theorie. Diese Unterschiede ziehen sich wie ein roter Faden durch alle unsere Workshops, Fort- und Ausbildungen. Grund genug also, einmal unsere Gedanken zu Workshops und Schulungen und was wir unterrichten darzustellen und sich ebenfalls mit unseren CoffeeBasics auseinanderzusetzen, die es als 12-teilige Plakatreihe mit Zusatzplakaten, genauer gesagt einem Aromenrad und einer Kaffeeweltkarte, gibt.

Botanik der Kaffeepflanze

Grundlage für das Kaffeewissen sollte die Biologie, genauer die Botanik der Kaffeepflanze, ihrer Arten und Varietäten sein. Doch schon hier beginnt meist das lustige Begriffe Verwechseln. Vielfach sind Unterschiede von Arten und Varietäten nicht bekannt, gern wird sogar von Sorten gesprochen. Einem in diesem Zusammenhang grundlegend falschen Begriff. Die Taxonomie des Kaffees unterscheidet neben Sektionen, Subsektionen, Gattungen, Arten und Varietäten, um nur im engeren botanischen Umfeld des Kaffees zu bleiben. Dass der Kaffee auch mit dem Waldmeister verwandt ist, ist ebenso wenig weiterführend wie eine Kaffeemaschine einzustellen oder korrekt zu rösten, wie auch sein Verwandschaftsverhältnis zur Tomate. Übrigens sind sogar der Mensch und der Kaffee verwandt – aber auch das ist eher nebensächlich – beide sind Eukaryoten (Lebewesen mit Zellkern, Anm. d. Red.), um die Gemeinsamkeit kurz einmal abzuhandeln. Danach endet die Gemeinsamkeit aber auch gleich wieder. Solche irrelevanten Informationen pflanzen sich dann, von drittklassigen Autoren beliebig aufgesaugt, immer weiter fort und werden von Abschrift zu Abschrift aus zahlreichen Kaffeebüchern weiterverbreitet, ohne ein einziges Mal hinterfragt oder auf eine Relevanz geprüft zu werden. Erschwerend kommt hinzu, dass viele solcher „spannenden“ Informationen zumeist noch falsch sind. Ein wunderbares Beispiel hierfür ist die nahezu in jedem Kaffeebuch beschriebene Tatsache, dass die Kaffeepflanze als einzigartiges Merkmal „zur gleichen Zeit Blüten, unreife und reife Kaffeekirschen trägt und mehrfach im Jahr abgeerntet wird“. Dies wird zugleich als seltenes, herausragendes Erkennungsmerkmal der Kaffeepflanze stilisiert und emporgehoben. Ich frage mich in diesem Zusammenhang dann immer, ob nur einer dieser Autoren ein einziges Mal einen Zitronenbaum, Orangenbaum, Tomaten- oder Erdbeerpflanzen gesehen hat, um nur einige zu nennen. Dieses Phänomen ist derart weitverbreitet im Pflanzenreich, dass es als Erkennungs-, Unterscheidungs- oder Identifizierungsmerkmal nicht wirklich dient.

Missverständnisse

Auch Erdbeeren- oder Tomatenpflanzen haben zur gleichen Zeit unterschiedlich ausgereifte Früchte und tragen gleichzeitig Blüten. Ein völlig normales Phänomen und sicherlich keine Einzigartigkeit, wie es in den meisten Büchern festgestellt wird. Ob es deshalb richtig ist, von mehreren Ernten im Jahr zu sprechen ist fraglich. Jede Kaffeepflanze benötigt je nach Art, Varietät und Lage eine bestimmte vorgegebene Entwicklungs- und Reifezeit von der Bestäubung bis zur Fruchtreife. So benötigt ein Bourbon-Kaffee zum Beispiel 210 Tage ab der Blüte, eine großwüchsige Kaffeepflanze wie die Pacamara rund 240 Tage. Es ist also richtiger, von einem Erntezeitraum zu sprechen, da sich die Blüten je nach Niederschlag zu unterschiedlichen Zeiten gebildet haben und auch bestäubt wurden. So entstehen in Konsequenz verschiedene Pflückrunden, die 2 bis 3 Wochen auseinanderliegen. Sicherlich sollte man dies aber nicht als unterschiedliche Ernten bezeichnen. Richtig ist, dass diese Pflückrunden unterschiedliche geschmackliche Eigenschaften aufweisen. Nur kenne ich auch hier nur eine Rohkaffeequelle, die Kaffees nach getrennten Pflückrunden von getrennt geernteten Feldern als Parzellenkaffees anbietet. Dies ist also sicherlich nicht die Grundlage der in der Literatur so häufig aufgeführten mehreren Ernten. Tatsache hierfür ist mangelndes Wissen der Autoren und der wirtschaftliche Druck, möglichst schnell ein Kaffeebuch herauszubringen, ohne einen echten relevanten Mehrwert zu bieten. Vielleicht lassen sich daraus die niedrigen Preise der Bücher erklären.

Botanik und Flavour

Wesentliche Grundlage für das botanische Verständnis von Kaffee sind das Wachstumsverhalten, die Ertragssituation und die Widerstandsfähigkeit sowie die Verbindung zum Flavourprofil der Kaffees. C. Arabica ist generell säurebetonter und weist Leitaromen aus dem Bereich der Früchte, vegetale und florale Noten auf, C. Canephora bietet als säurearmer Kaffee dagegen cereale Töne, Aromen von Cognac, Nüssen, Nougat, Popcorn, Tabak oder Karamell. Der seltene und exotische C. Liberica birgt ebenfalls intensive Fruchttöne und laktischen Charakter von Joghurt und Rahm, mit einem ausgeprägtem Körper und einer intensiven Süße. Leider ist noch viel zu wenig über die diversen Varietäten des C. Liberica bekannt.
Spannend sind die sich aus den Arten entwickelten Linien und die ebenfalls unterschiedlichen Charakteristika. Verschiedene Varietäten entwickeln sich grundsätzlich über die Anpassung einer Kaffeepflanze an ein spezielles Terroir über mehrere Pflanzengenerationen hinweg. In der Regel wird eine Varietät nach sieben Generationen als eigenständige Varietät betrachtet. Als älteste kultivierte Varietät (Kultivar) darf wohl der C. Arabica var. Tipica betrachtet werden. Dieser entstand durch Auslese von wild wachsenden äthiopischen Mokkapflanzen (die man heute marketinggerecht als Heirloom bezeichnen würde). Durch Verbringen dieser wilden Pflanzen in den Jemen und weitere Reduktion und Auslese durch Mitnahme und weitere Reduktion nach Amsterdam in den Botanischen Garten „Hortus“, der ursprünglich als Sammlung für Heilpflanzen entstanden war.

Verbreitung

Von dort aus gelangten Ableger einer Pflanze 1714 in die Hände der Franzosen, die den Kaffee, der nun als C. Arabica var. Tipica identifiziert wird, in die Karibik (Martinique, Guadeloupe …) verbrachten. Von dort verbreitete sich die Tipica-Pflanze über den gesamten amerikanischen Kontinent. Das Flavourprofil der diversen Tipica-Varietäten weist meist Beerentöne auf, die von Blaubeeren über Brombeeren und Johannisbeeren reichen, ebenso sind florale Noten präsent. Die Tipica-Linien erinnern damit noch an die äthiopischen Mokka-Kaffees. Bekannte Vertreter sind Pluma Hidalgo, Pache, Bonifieur und Maragogype. Die Bourbon-Linie entstand aus der notwendigen Anpassung des Kaffees an das niederschlagsreiche Klima auf der Ile Bourbon – heute Île de la Réunion– mit einer einhergehenden Verkleinerung der Kaffeekirschen und Reduktion der Länge. Damit einhergehend veränderte sich ebenfalls das Flavourprofil der Bourbonkaffees, die aufgrund des Ursprungs auf mehrere Pflanzen (vermutlich sieben genetisch differenzierte Pflanzen) eine breitere Genetik und damit Entwicklungs- und Anpassungsfähigkeit aufweisen. Die Bourbonkaffees weisen Zitrusaromen und feine fruchtige Säuren, Nusstöne und einen gut entwickelten Körper auf. Berühmte Vertreter der Bourbonlinie sind Bourbon Tekisic, Bourbon, SL28, SL34 oder die Zwergform Caturra. Durch Kreuzung der beiden Arabica-Linien Tipica und Bourbon entstand der Arabica-Kultivar Mundo Novo, ein Riese in Geschmack und Wuchs. Letzteres wurde leider seiner weiteren Verbreitung und dem Anbau zum Verhängnis. Wie auch bei Apfelbäumen in unseren Breiten ist die Wuchshöhe ein wesentliches Kriterium für den Anbau, um möglichst günstig produzieren und ernten zu können. Die allogamen Canephora-Varietäten weisen ein genetisch weites Spektrum auf. Varietäten werden aufgrund der geringeren Wertschätzung selten bis gar nicht angegeben oder sind den Farmern sogar häufig unbekannt. Einer der bekanntesten Vertreter ist der in Brasilien angebaute C. Canephora var. Conillon, der Tabaknoten, Töne von Cerealien, Cognac, Zartbitterschokolade, Hölzern und Nüssen entwickelt.

Kreuzungen bieten Chancen

Die Kreuzungen zwischen Arten, beispielsweise Arabica x Canephora oder Arabica x Liberica entwickeln aufgrund der komplexeren Genetik höhere Widerstandsfähigkeit und ein deutlich weiter gefächertes Aromenspektrum. Diese Kreuzungen werden je nach der bestimmenden genetischen Ausprägung als Arabicoide (arabicaartig), Canephoroide (canephoraartig) etc. bezeichnet. Zu den bekannteste Vertretern zählen die Arabicoide HdT (Hibrido de Timor), aus denen sich die Catimor- (HdT x Caturra) und die Sarchimor-Linien (HdT x Villa Sarchi) entwickelt haben. Die Linien sind charakterisiert durch Steinobst-Aromen (Pfirsich, Aprikose …), ausgeprägte Nuss- und Karamelltöne mit einem sehr voluminösen Körper. Ein weiterer Vertreter der Arabicoide ist der S 795 (Kent x S 288), also eine Kreuzung aus einem Arabica mit Liberica-Aromen. Vollreife dunkle Beeren und Honig bestimmen diesen Kaffee, der zugleich die typische hohe Süße von Liberica aufweist und einen vollmundigen Körper besitzt. Ein einzigartiger Canephoroid ist der CxR (Congensis x SLN 274), der in seinem Aromenspektrum mit floralen Noten, Honig, Popcorn, gebrannten Mandeln und Rahm aufwartet. Die eingehende Kenntnis über die genetischen Hintergründe und die daraus hervorgehenden geschmacklichen Eigenschaften sind von zentraler Bedeutung für jeden Röster und Barista wie auch für jeden Anbieter von Kaffee, um ein klar definiertes Profil des Kaffees in der Tasse zu erhalten.

Der Autor:

Dr. Steffen Schwarz ist crema-Autor der ersten Stunde und einer der renommiertesten Kaffee-Experten weltweit. Seine Informations- und Schulungsplattform „Coffee Consulate“ gilt als eine der Topadressen für die Kaffeeausbildung in Europa.