Peru in der Kaffee-Krise

Lukas Harbig hat seit 2013 fast drei Jahre in Peru und Südamerika verbracht. Als Kaffeeimporteur kennt er die Probleme der Kaffeebauern aus erster Hand. Wir haben ihn gebeten, die aktuelle Lage in dem Andenstaat, der zu den zehn größten Kaffeeproduzenten weltweit zählt, zu beschreiben.

Peru ist ein geheimnisvolles, facettenreiches und kontroverses Land. Wir kennen das Land als Kaffee-Origin, Sehnsuchtsort für Fernreisende, Rohstoffkammer für die Weltwirtschaft, letzter Rückzugsort für isolierte Amazonas-Ethnien, grüne Lunge oder Weltspeicher für Biomasse und Biodiversität. Nicht zuletzt kann man hier uralte Geheimnisse der Weltgeschichte und eine schier magische Natur bestaunen. Doch der unschätzbare Wert dieses Erbes ist in Gefahr. Seit der Kolonialisierung werden peruanische Ressourcen erbarmungslos ausgebeutet und dabei Lebensräume rasant zerstört.

In der Corona-Krise stehen die scheinbar selbstverständlichen Mechanismen des sozialen Lebens und der Wirtschaft kopf. Auch in Peru fragt sich jeder: Wie geht es jetzt weiter? Um die Situation zu verstehen, in der Kaffeefarmer jetzt ihre Entscheidungen treffen, lohnt es sich, ihren kulturellen Kontext zu beleuchten. Der Charakter Perus ist in vieler Hinsicht durch Geodeterminismus bestimmt. Die drei Landschaftsformen Costa, Sierra und Selva geben seit jeher den Takt des täglichen Lebens für die Peruaner an.

Treibstoff für globale Industrieschwergewichte

Im Westen liegt die „Costa“, ein trockener Streifen Pazifikküste. Allein in der Hauptstadt Lima leben hier 11 Mio. der rund 33 Mio. Einwohner des Landes. Hier wird nahezu die gesamte politische und wirtschaftliche Aktivität Perus gestaltet. Von Nord nach Süd parallel zur Küste erhebt sich schon bald die hohe Bergkette der Anden, die „Sierra“. Die kargen, schier unendlichen Schluchten sind nur dünn besiedelt. Aber die hier gelebte Kulturenvielfalt prägt das Bild des Landes ebenso wie die Millionen Tonnen an Bodenschätzen, die seit Beginn der spanischen Kolonialherrschaft als Treibstoff für globale Industrieschwergewichte gefördert werden. Auf der Ostseite der Anden beginnt das riesige Amazonasbecken. Alle Bäche und Flüsse, die in den Bergen entspringen, fließen früher oder später in den Amazonas und münden in Brasilien in den Atlantik. Aber davor spenden die Quellen zwischen 1.000 und 2.000 Meter Höhe Wasser für die einzigartige Flora und Fauna des Bergregenwaldes (auch Nebelwald genannt). Hier leben die Kaffeebauern Perus.

Die Kaffeepflanze wurde im 18. Jahrhundert von Europäern in Peru eingeführt. Mitte des 19. Jahrhunderts begannen europäische und chinesische Immigranten, den Bergregenwald Zentralperus zu besiedeln und Kaffee anzubauen. Zwischen 1969 und 1979 enteignete der Staat die postkolonialen Großgrundbesitzer des mittlerweile unabhängigen Landes um mehr als 90 Millionen Hektar Land. Diese Fläche, größer als Österreich, überschrieb der Staat an 370.000 peruanische Familien. Während Präsident Fujimori das Land durch Marktliberalisierung und hartes Militär zu stabilisieren versuchte, bedrohte Terror mehr als 20 Jahre den Staat. Militär und Terroristen verübten gleichermaßen schreckliche Gewalttaten und Massaker an der Zivilbevölkerung, vorwiegend an Indigenen. Im Jahr 2001 schätzte die Friedenskommission die Zahl der Toten auf bis zu 70.000. Schon während der Terrorzeit flüchteten viele Bewohner der Berge vor dem Bürgerkrieg in den unzugänglichen Bergregenwald, um dort zu roden, Kaffee oder Coca anzubauen und unabhängig zu leben. Diese Freigabe des Regenwaldes zur Existenzgründung und Wirtschaftsentwicklung wurde von der marktliberalen Politikausrichtung Alan Garcias unterstützt.

Das Leben in Subsistenzwirtschaft kann uns in Europa auf den ersten Blick romantisch vorkommen, aber die Realität der Kaffeebauern ist nicht einfach. Die Bevölkerung des Bergregenwaldes leidet vielerorts unter Mangelernährung, Blutarmut und Hunger. Üppige Teller mit vielfältigem Gemüse und Fleisch, wie man sie als Gast bekommt, entsprechen nicht der täglichen Ernährung der meisten Familien. Die Mahlzeiten sind jedoch häufig deutlich unausgewogener, wie beispielsweise Kartoffeln mit Käse, Reis mit Linsen und Ei oder Nudeln mit Mais. Gleichzeitig zu der Unterversorgung mit Nährstoffen verlangen die harte Feldarbeit und das Leben im Dschungel den Tausenden Familien im peruanischen Kaffeeanbau viel ab. In ganzen Distrikten gibt es immer noch kaum elektrischen Strom und nur spärlich sanitäre Anlagen. Bis zur nächsten Schule müssen die Kinder oft mehrere Stunden durch den Regenwald wandern. Im Schwitzkasten der Rohstoffpreise sind die Prioritäten im Leben anders als wir sie aus unserem europäischen Umfeld betrachten würden. Schulkosten oder Medizin für Verwandte sind allemal wichtiger als Investitionen in Kaffeeinfrastruktur und leider oft sogar wichtiger als die Qualität der Ernährung.

Aus solchen Dörfern kommen seit den letzten Jahrzehnten Bauern und Bäuerinnen zusammen und gründen Vereinigungen und Kooperativen. Dieselben Leute, die nur das Leben im Wald auf dem Hügel kennen, gehen jetzt in internationale Preisverhandlungen mit Vertretern von Großkonzernen. Sie müssen Kursrisiken absichern, die sie nicht verstehen. Sie müssen Gesetze und Bürokratie befolgen. Sie müssen Englisch lernen. Das Konzept „Kooperative“ scheitert allzu oft. Die Arbeit im Dschungel ist hart und Kaffeepreise sind seit Jahren niedrig. Die Kaffeebauern fühlen sich betrogen, wurden sie doch einst von Politikern und Entwicklungsprojekten mit Krediten in das Kaffeegeschäft gelockt. Der versprochene Fortschritt und Wohlstand kommen im besten Falle sehr, sehr langsam.

Sustainable Development Goals

Überhaupt werden hier im Bergregenwald so einige Interessen ausgetragen, die nicht mit denen der Bauern korrespondieren, sondern von außerhalb kommen. Fortschritt bei den Sustainable Development Goals der Vereinten Nationen? Schutz der grünen Lunge der Welt? Schutz seltener Arten wie Jaguar und Tapir? Schutz für indigene Ethnien und Kulturen? Erdöl für unsere Mobilität und Industrie? Gold für Wohlstand? Holz für Möbel? Exotische Lebensmittel für die Welt? Aus Sicht der Bauern im peruanischen Dschungel trägt die Welt von außen kontinuierlich Ansprüche in die Politik ihres Territoriums, der Siedlungen hinein. Es gibt aus der eigenen Aktivität heraus für die meisten Menschen hier kein Geld, was für die eigene Entwicklung übrigbleiben könnte.

Alles kommt vom Staat und aus internationaler Kooperation. Die Korruption und das Chaos im Wirrwarr der oft konträr wirkenden Entwicklungsprojekte ist gegen jedes Verständnis für effiziente Entwicklung. Die Siedler selbst wünschen sich mehr Anteil am Reichtum der Welt, und das bedeutet für sie bessere Preise, mehr Autonomität, mehr Wertschätzung. Also eigentlich, dass sie im sozialen und privatwirtschaftlichen Bereich besser für ihre Leistung kompensiert werden, und dass ihr Stück Land nicht weiter als Spielball fremder Interessen dient.

Hier ergibt sich für uns in der Kaffeebranche die große Chance, nämlich die auf eine gemeinsame Entwicklung mit den Akteuren vor Ort. Fortschritt entsteht dort, wo wir bei Problemen nicht wegsehen, sondern sie untersuchen und Lösungen entwickeln. Peruanischer Kaffee, insbesondere die Entwicklung von Spezialitätenkaffee, hat einen vergleichsweise späten, aber trotzdem nicht weniger bemerkenswerten Aufstieg erlebt. Bauern übernehmen und entwickeln selbst innovative Anbau- und Produktionsmethoden. Viele bauen Freundschaften und Beziehungen in Übersee auf, manche vermarkten ihren Kaffee selbstständig, ohne Kooperative. Die Organisation auf nationaler Ebene bleibt schwierig, auch die finanzielle Lage ist seit Jahren angespannt. Trotzdem konnten peruanische Kaffees spätestens seit dem ersten Cup of Excellence Peru 2017 große internationale Reputation aufbauen. Unser Eindruck als Kaffeeimporteur, aber auch aus den vielen Gesprächen mit den Bauern, ist: Machen wir weiter! Mit Beziehungen, in denen wir zusammen unsere Zeit hier genießen, uns schätzen und immer eine gemeinsame Lösung für die Zukunft im Blick haben.

Der Autor:

Lukas Harbig ist 28 Jahre alt, und seit sieben Jahren lässt ihn Peru nicht mehr los. Alles begann mit einer Reise, dann realisierte er Studieninhalte über Kaffee. Die Aktivitäten wurden durch gemeinnützige Arbeit intensiviert, und seit 2018 importiert er gemeinsam mit seinem Partner Daniel Kraus mit der cumpa GmbH Rohkaffee aus Moyobamba und Monzón in Peru sowie aus Vietnam. Mit dem Qoffee Qulture e.V. nutzen er und andere Vereinsmitglieder ihre Freizeit, um benachteiligten Kaffeebauern zu einem besseren Leben zu verhelfen.