Das Rösten oder Veredeln von Kaffee bezeichnet das trockene Erhitzen von Kaffeebohnen unter Entstehung von aromatischen Substanzen während der Maillard-Reaktion. In unserer Serie stellt uns der crema-Autor und Kaffeeexperte Dr. Steffen Schwarz die wichtigsten Wissensgrundlagen vor, für alle, die beim Thema Kaffee mitreden möchten.
Seit fast zwei Jahrzehnten wächst die Zahl der Röstereien in Deutschland – zum Glück, denn noch vor rund 30 Jahren bot sich weltweit das Bild eines großen Röstereisterbens, mit immer mehr Übernahmen von Traditionsröstereien durch große Industrieunternehmen. Marken lebten von Fernsehwerbung und Großflächenplakaten und verdrängten die kleineren Anbieter zusehends vom Markt.
Die Absatzmärkte waren weggebrochen, der Endverbraucher kaufte seinen Kaffee im Supermarkt und nicht mehr im Fachgeschäft – also den meist kleinen Röstereien oder Delikatessgeschäften. Die Hotellerie und Gastronomie wurde mit Maschinenfinanzierung geködert – was durch den Druck hin zu Café Crème (sogenannter „Schümli“- Kaffee) aus Kolbenkaffeemaschinen seit Ende der 80er-Jahre ein Thema war.
Umdenken in Gastronomie und Privathaushalten
Filterkaffee war „out“ – alt, schlecht, billig – und würde niemals mehr ein Angebot in der Gastronomie sein. Espresso machten die Italiener und Cappuccino war mit Sahne. Heute stellen sich der Kaffeemarkt, seine Protagonisten und die Kunden und Verbraucher anders dar. Filterkaffee ist, in der richtigen, dann meist schon übermäßig zelebrierten Zubereitung, eine Kaffeespezialität, Espresso ist ein gastronomischer Standard, Cappuccino wird mit Milchschaum zubereitet (was sich auch dadurch gut durchsetzte, weil Milch billiger ist als Sahne) und Kolbenkaffeemaschinen sind ubiquitär, aber kein für sich selbst sprechender, automatischer Hinweis auf Kaffeekompetenz mehr – wie es bei ihrer Einführung im Markt der Fall war.
Kaffee wird inzwischen auch gerne wieder in Fachgeschäften, bei kleinen Röstereien oder im Internet gekauft, der große Marktplatz „Supermarkt“ und „Discounter“ verlieren an Umsatz zugunsten von kleineren Spezialisten, und muss mit neuen Konzepten und Strategien gegensteuern, möchte er die bestehenden Kunden halten und neue gewinnen.
Über 600 Röstereien gibt es aktuellen Schätzungen zufolge heute in Deutschland, von großen Industrieröstereien über spezialisierte Röstereien für Lohnröstungen, zu „Local Heroes“ und kleinsten Nischenanbietern, die meist vorwiegend für ihr eigenes Café oder ihren eigenen Coffeeshop rösten.
Green-Bean-Tuner statt Braunmacher
Rösten ist das trockene Erhitzen von Kaffeebohnen unter Entstehung von aromatischen Substanzen während der Maillard-Reaktion. Ein guter Röster sollte ein „Green-Bean-Tuner“ und kein „Braunmacher“ sein. Es geht also weniger darum, sklavisch den exakt gleichen Farbton zu treffen, auch wenn man davon ausgeht, dass der Verbraucher sich an der Farbe der Bohnen orientiert, sondern es geht darum, ein gezieltes Geschmacksprofil zu erreichen (nachdem man dieses zuvor für den verwendeten Kaffee festgelegt hat).
Gutes Rösten setzt also zunächst eine genaue Kenntnis über den Rohkaffee voraus – der, je präziser Details über seinen Anbau, Varietät, Verarbeitung und Herkunft bekannt sind, desto besser punktgenau geröstet werden kann. Auf der anderen Seite setzt gutes Rösten eine exakte Kenntnis über die physikalischen und chemischen Vorgänge während des Röstvorganges voraus – wenn man sich nicht einfach damit gefällt, der „Local Hero“ zu sein, der sich gute Geschichten zu einem möglichst genau reproduzierten Braunton ausdenkt. Denn – notabene – das kann jeder und das machen dann auch immer mehr „lokale Röster“ – und nur wenig Kaffee wächst in den Europäischen Konsumländern, warum Regionalität beim Röster nicht wirklich stichhaltig ist.
Es ist dann immer nur eine Frage der Zeit, wann jemand auftritt, der noch bessere Farbtöne reproduziert und noch schönere Geschichten dazu erzählen kann. Wird hingegen am Geschmacks- und nicht am Preis- und Marketingprofil gearbeitet, vom Rohkaffee über das Röstprofil, entstehen einzigartige Kaffees, die eine feste Bindung zum Verbraucher garantieren. Wichtig beim Rohkaffee ist es, die zugrundeliegende Aromatik aus Anbau und Verarbeitung zu verstehen und zu kennen, ebenso wie die Dichte und die Restfeuchte. Dies ist umso wichtiger, wenn mit Mischungen gearbeitet werden soll – besonders wenn der Rohkaffee vor der Röstung gemischt wird.
Bilder: Luca Siermann
Varietät bestimmt den Geschmack
Die Varietäten geben beim Kaffee grob vor, ob der Kaffee später eher dazu neigt Zitrus-, Beeren- oder Steinobsttöne zu entwickeln, was genetisch vorgegeben und allelopathisch ergänzt wird. Durch die Aufbereitung wird die Restsüße im Kaffee bestimmt und der Säuregrad, der über die Fermentation (u. a. den Zuckerabbau durch Mikroorganismen) gesteuert werden kann. Der Zuckergehalt im Rohkaffee legt damit fest, ob ein Kaffee sich gut für eine intensivere, tiefe Röstung, beispielsweise für Espresso eignet, ohne dabei zu viele Bitterstoffe aufzubauen. Natural (trocken aufbereitete) und Pulped natural (nass aufbereitete Kaffees ohne Abbau der Zuckerschleimschicht) [ein Teil dieser Aufbereitungsart wird auch als „Honey Process“ bezeichnet] eignen sich durch die hohen natürlichen Zuckerkonzentrationen am besten hierfür.
Nachdem der geeignete Rohkaffee ausgewählt wurde, sei es als Mischung oder als sortenreiner Kaffee, womöglich ein „Single Estate“ (Kaffee einer einzelnen Farm) oder sogar ein „Parzellenkaffee“ (Kaffee eines einzelnen Feldes mit charakteristischen Eigenschaften wie beim Wein), geht es darum, das Röstprofil anzupassen. Es ist von grundlegender Bedeutung, sich vor dem Erstellen des Röstprofils klarzumachen, in welcher Zubereitungsform der Kaffee später konsumiert werden soll. Ein Filterkaffee, der schwarz getrunken und dabei ein Zitrusaroma präsentiert, verlangt ein anderes Röstprofil, als ein Espresso, der in einem Cappuccino ein möglichst intensives Karamellaroma aufweisen soll. Es muss also von Anfang an klar sein, was das Ziel ist. Vor diesem Hintergrund sollte man sich Gedanken machen über die zahlreichen Kaffees, die sich nach Angaben der Röster perfekt für alle Zubereitungsarten und Maschinen eignen – hier ist wieder ein Geschichtenerzähler am Werk!
Verschiedene Phasen der Röstung
Das Röstprofil stellt die Temperaturverlaufskurve dar, die in Abhängigkeit der Zeit (T) über die Bohnen entsteht. Diese Temperatur kann durch werkseitig ein-gebaute Temperaturfühler oder durch später nachträglich eingebaute Temperaturfühler ermittelt und aufgezeichnet werden. Inzwischen bieten mehrere Anbieter hierzu praktische Software-Lösungen an, es ist aber auch möglich über einen externen Datenlogger zu arbeiten. Die Röstphasen orientieren sich an physikalischen und chemischen Ereignissen. Es können vier Röstphasen unterschieden werden, von denen drei endotherm (wärmeaufnehmend) sind und eine exotherm (wärmeabgebend) ist.
In der ersten Phase (Einwurftemperatur der Bohnen bis 100 °C), der sogenannten „Homogenisierungsphase“, gleichen die Kaffeebohnen sich in ihrer Restfeuchte und der Temperatur an. Es ist daher wichtig, diese Phase so lange zu wählen, bis die Bohnen in der Lage waren, sich möglichst optimal einander anzugleichen, um später eine möglichst einheitliche weitere Röstung zu durchlaufen. Je unterschiedlicher die Bohnen in ihrer Größe, Dichte, Temperatur und im Restfeuchtegehalt sind, je länger muss die anschließende „Homogenisierungsphase“ gewählt werden.
Die zweite Phase, die „Trocknungsphase“ (100 °C bis 150 °C) schließt unmittelbar an die „Homogenisierungsphase“ an und definiert maßgeblich den späteren Säurecharakter des Kaffees. Je länger in dieser Phase verblieben wird, desto weiter werden im Rohkaffee vorhandene Säuren und ihre Vorläuferstoffe abgebaut und der Kaffee erhält einen balancierteren, säureärmeren Charakter. Zu wenig Säure kann wieder flach und langweilig wirken.
In der dritten Phase, der „Maillard-Phase“ (150 °C-200 °C), die auch als „Aromenbildungsphase“ oder „eigentliche Röstphase“ bezeichnet wird, bilden Aminosäuren mit reduzierenden Zuckern die zahlreichen diversen Aromen, die so typisch für Kaffee sind. Die Aromen können in elf Hauptgruppen eingeteilt werden, die wiederum in mehrere Untergruppen unterteilt werden können und dann in einzelne Aromen oder „Deskriptoren“ aufgelöst werden. So lassen sich tausende Aromen (denn schon lange sind rund 2.000 Aromen im Kaffee einzeln beschrieben worden – weit mehr als die immer noch fälschlich allerorts zitierten „rund 1.000 Aromen“).
Die dritte Phase bestimmt die Ausprägung der Aromen
In allen Kaffees sind grundsätzlich alle Hauptgruppen mit Aromen vertreten – allerdings in sehr unterschiedlich starker Intensität. Je nach der Zeit, die die Kaffeebohnen in der dritten Phase verbleiben, verschiebt sich die Verteilungskurve der Aromen in den verschiedenen Hauptgruppen immer weiter in Richtung Uhrzeigersinn des Kaffee-Aromarads. So kann über die Wahl der Röstzeit der Kaffeebohnen in der dritten Phase die Ausprägung der späteren Aromen in der Tasse gesteuert werden, beispielsweise zu eher fruchtbetonten Aromen oder zu intensiveren Nusstönen.
Die vierte Phase, die „Ausröstungsphase“ oder auch „Glättungsphase“ sorgt über die Glasierung der Oberfläche für eine längere Haltbarkeit der Kaffeebohnen und eine damit verbundene verlangsamte Reifung. Für Probenröstungen empfiehlt es sich daher, in der vierten Phase die Kaffeebohnen nicht zu sehr auszuglätten, um schneller nach der Röstung eine repräsentative Verkostung des Kaffees vornehmen zu können. Insbesondere eine kontrollierte und repräsentative Röstung von Kaffeemustern ist eine anspruchsvolle Aufgabe, die viel Geschick und Verständnis vom Röster erfordert. Das Geschmacksprofil entscheidet über Kauf oder Nichtkauf von Kaffee und damit über die Geschicke und wirtschaftlichen Existenzen von Farmern und Pflückern – und stellt damit einen der höchsten Verantwortungsgrade im Kaffeegeschäft dar.
Wesentlich ist es im Zusammenhang mit dem Rösten auch zu verstehen, dass Kaffee einem fortlaufendem Reifungsprozess unterliegt, der mitnichten unmittelbar nach der Röstung das optimale Geschmacksprofil aufweist – auch hier sind wieder so manche Geschichtenerzähler in der Kaffeerösterzunft tätig.
Ein Röstdatum ist daher wichtig, um besonders auch einen verfrühten Kaffeekonsum zu vermeiden und den sorgfältig angebauten und meisterlich gerösteten und veredelten Spezialitätenkaffees dann die Zeit zu geben, sich nach der Röstung voll zu entwickeln und geschmacklich zu entfalten. „Täglich frisch gerösteter Kaffee“ sollte daher schon eine erste Warnung sein – wer möchte schon einen frischen Wein, frischen Rum oder eben … frischen Kaffee?
Der Autor:
Dr. Steffen Schwarz ist crema-Autor der ersten Stunde und einer der renommiertesten Kaffee-Experten weltweit. Seine Informations- und Schulungsplattform „Coffee Consulate“ gilt als eine der Topadressen für die Kaffeeausbildung in Europa.