Röster des Jahres 2022

Der „Röster des Jahres 2022“ ist 19grams aus Berlin. Sie überzeugten die Jury über einen längeren Zeitraum mit der Qualität der angebotenen Kaffees, im Kundenservice sowie bei der Nachhaltigkeit im Einkauf der Rohkaffees.

Dieses Jahr wandert die höchste Auszeichnung für einen Röster in Deutschland von Frankfurt am Main in die Hauptstadt. Denn auf Hoppenworth&Ploch folgt 2022: 19grams! In allen Kategorien konnten die Berliner unsere Jury dieses Jahr voll überzeugen: Rohkaffeeauswahl inklusive Nachhaltigkeitsbestrebungen, Röstqualität und Sortiment, Kundenservice und Nutzerfreundlichkeit des Online Shops, Verpackung und Liefergeschwindigkeit. „Die Auszeichnung fällt zusammen mit dem 20. Geburtstag der Firma, womit wir, glaube ich, auch eine der frühesten Specialty Coffee Röstereien Deutschlands sind“, erzählt Geschäftsführer Gerrit im Interview.

Wie alles begann…
Wir schreiben das Jahr 2002. Sascha und Robert kommen beim Surfen in Costa Rica erstmals mit dem Thema Kaffee in Berührung. Sie treffen auf einige US-Amerikaner aus der Specialty Coffee Szene, gründen eine Rösterei. Sascha fällt die Entscheidung, sich dauerhaft in Costa Rica niederzulassen. Wie der Zufall es will, direkt neben dem costaricanischen Institut für Kaffee. „So hatte er, sagen wir mal, semi-legalen Zugriff auf alle möglichen Varietäten,“ erzählt Gerrit. Sascha erinnert sich: „Eine Zeit lang habe ich mich ganze Nächte und Tage durch die Bibliotheken gewurmt. Ich wollte so viel wie möglich über Kaffee lernen.“ Ihm wird klar, dass das Thema Varietäten noch kaum eine Rolle spielt. „Dank des Zugangs zum Saatgut des Instituts haben wir ein paar Varietäten herausgepickt, von denen wir mal gehört hatten, dass sie Potenzial haben, wo es Geschichte gab, wo man irgendwie einen Bezug dazu hatte.“


Bis dato wurden in Costa Rica kommerziell fast ausschließlich Caturra und Catuai angebaut. Zwar würde Sascha nicht behaupten, das Thema gänzlich angestoßen zu haben, brachte das Varietäten-Thema aber sicher mit ins Rollen. Auf unzähligen Touren zu verschiedenen Farmen berichten die Pioniere den Bauern von den Methoden und Prozessen anderer Länder. „Dass in Äthiopien fast alles natural ist und völlig anders schmeckt zum Beispiel. Durch unsere Nachfrage war es schon so, dass der eine oder andere Hektar für uns mit einer bestimmten Varietät angebaut wurde.“ Schließlich wird Sascha selbst zum Kaffeebauern. „Diese verrückte Odyssee mit der eigenen Kaffeeplantage und dort selber im Dreck zu stehen und all das zu tun, was die anderen Kollegen im Feld tun, hat uns wahnsinnig geholfen, dort auch als gleichwertige Partner angesehen zu werden,“ berichtet Sascha. „Wirtschaftlich war die eigene Farm natürlich ein totaler Reinfall, das ist wirklich Quatsch,“ weiß er rückblickend.


„Die Romantik ist bei allen da, einige machen das, bei den wenigsten bringt das aber auch Geld ein. Es ist jedoch bereichernd auf eine völlig andere Weise!“ Auch Gerrit findet, dass die Firma von dem damals erworbenen Wissen und Verständnis übers Rösten, aber besonders auch über die Bedeutung von Kaffeeanbau, Varietäten und Böden enorm profitiert hat. „Dadurch haben wir bei 19grams ein sehr fundiertes Wissen über die komplette Wertschöpfungskette und wir denken, dass uns das sehr stark hilft, unser Portfolio an Kaffees so zu entwickeln, dass alle Kunden interessante Angebote finden,“ meint er. Nach und nach keimt die Idee, nach Berlin zurückzukehren und ein Unternehmen zu gründen, das qualitativ besseren und direkt aus dem Ursprungsland gehandelten Kaffee anbietet. So entsteht 2002 das erste Café in Friedrichshain.


Eine Dekade später …
Wir springen ins Jahr 2012: Der zweite Laden in der Schlesischen Straße wird eröffnet, nachdem Marianne und ihre Partnerin Kim aus London abgeworben wurden. Mit im Gepäck haben die beiden Australierinnen den Namen 19grams, der auf die zu der Zeit schon übliche Dosis für einen Double Shot in Down Under anspielt. „Das Thema hat nun auch bei uns Fahrt aufgenommen. Die Begriffe „Sustainability” und „Nachhaltigkeit”, die heute inflationär und überall genutzt werden, sind so Anfang der 2010er wirklich aus der Nische in ein größeres Bewusstsein getreten. Dann kamen auch Themen wie „Direkthandel” und dieses ganze Manufakturwesen auf, dass du Produkte nicht mehr von der Stange kaufen, sondern mehr über sie wissen wolltest“, führt Gerrit weiter aus. 19grams wächst weiter, Café Nummer drei wird in der Chausseestraße eröffnet und die Rösterei bekommt ihren eigenen, größeren Standort am Alexanderplatz.

Jüngste Entwicklungen
Mit Gerrits Einstieg wurde noch einmal neu ausgelotet, wohin die Reise gehen soll. „Wir haben angefangen, 19grams als wirkliche Marke zu behandeln und die Kommunikation um diese Marke herum zu bauen,“ erzählt er. „Unser Footprint liegt zwar auf Specialty Coffee, wir wollen aber nicht exklusiv sein, weder beim Produkt, noch beim Verhältnis zum Kunden. Fest steht, dass wir keine Kaffeekette sein wollen. Wir haben jetzt vier Cafés, und dabei soll es bleiben,“ so Gerrit. Großes Potenzial sehen die beiden Geschäftsführer zukünftig im Onlinebereich. „Das ist über die Jahre immer wichtiger geworden. Das Thema In-Home-Consumption hat gerade auch durch Corona einen ganz anderen Stellenwert bekommen, ist deutlich gewachsen und da möchten wir sehr gerne noch dran weiterarbeiten.“ Neben gastronomischen Kunden – mehr als 100 in Berlin, darunter bekannte Namen wie das Berghain, aber auch viele in Osteuropa – soll das Wachstum auch im klassisch-unternehmerischen B2B-Geschäft weitergehen.
Das Streben nach fairen Handelsbedingungen beim Rohkaffeebezug


Auch in Sachen Direkthandel wollten Sascha und Robert von Anfang an neue Wege gehen. „Direct Trade war damals natürlich gar nicht möglich. Wir haben auf Partner im Rohkaffee zurückgegriffen, die vielleicht mal einen Sack Huckepack mitgenommen haben“, erinnert sich der Firmengründer. Über die Jahre lernen sie verschiedene Rohkaffeehändler kennen, denen sie von ihrem Vorhaben, den Kaffee – bestenfalls in Bioqualität – direkt von den Farmern beziehen zu wollen, erzählen. „Die ersten Gespräche mit den Händlern darüber waren höchst unterschiedlich. Eigentlich gab es von den Großen nur einen, der uns nicht für völlig behämmert erklärt hat und das mit uns versuchen wollte. Anfangs waren wir einfach irgendwelche Vögel mit Hirngespinsten. Heute sieht die Welt ganz anders aus und das, was wir damals wollten, ist heute normal.“


Rösterei am Alexanderplatz
Geröstet wird in Berlin Mitte an einem Probat UG22, einem 22-Kilo-Röster also, wobei meist eher Batches von 15 bis 17 kg geröstet werden. Die Röstphilosophie bei 19grams bezeichnet Gerrit als „angemessen“. „Das ist wohl das richtige Wort dafür“, erklärt der Geschäftsführer. „Der Kaffee soll seinen individuellen Charakter nicht durch das Rösten verlieren, man soll ihn schmecken, in der größtmöglichen Bandbreite der Aromen. Wir haben sehr gute Röster bei uns, die es schaffen, ein angemessenes Röstprofil für jeden Kaffee zu entwickeln und dem Kaffee dabei gerecht zu werden.“ Sascha ergänzt: „Geschmack ist das Thema und nicht die Farbe! Wir haben ja eine Brückenfunktion, wir wollen Leute abholen und dahin bringen, die Sachen zu verstehen, die wir selbst geil finden.“ Bei den ein bis zwei Mal pro Woche stattfindenden Production-Cuppings werden die einzelnen Röstungen besprochen und die Röstkurven diskutiert und gegebenenfalls optimiert. Im High-End-Specialty-Bereich und besonders auch im Filter bezeichnen sie ihren Röststil als hell, während einige Kaffees – viele Brasilianer beispielsweise – eine etwas dunklere Röstung besser vertragen. „Da diese überwiegend in einer Convenience-Art getrunken werden, also durch Knopfdrücken, muss der Kaffee sich der Maschine anpassen“, führt Gerrit weiter aus. „Wenn ich allerdings Geishas oder äthiopische Hochlandkaffees habe, weiß ich natürlich, dass das Getränk keine Funktion ist sondern tatsächlich ein Genussmoment.“


Portfolio, Zertifizierungen und Siegel
19grams will seinen Kunden eine Reise in den Specialty Coffee ermöglichen. Dafür gibt es Einsteigerprodukte, die unter künstlichem Namen stehen wie ‚Italo Disco‘, ‚Endless Summer‘ oder ‚Wild at Heart‘. „Sie sind relativ dicht an einem traditionellen Verständnis davon, wie Kaffee eigentlich schmecken soll“, erklärt Gerrit. „Die Realität in vielen deutschen Küchen ist eben, dass dort Vollautomaten stehen, unsere Kaffeetradition durch Jacobs und Tchibo filterkaffeegeprägt und durch Italien espressogeprägt ist.“ Die Idee ist, dass Interessierte sich von dort aus sowohl qualitativ als auch geschmacklich weiterentwickeln und für sich selbst schauen können, wo die Reise enden soll.


„Denn es muss ja nicht zwangsläufig so sein, dass jeder bei einem super fruchtigen und floralen Kaffee aus Äthiopien endet. Es macht uns aus, dass wir uns nie nur auf ein ganz kleines Segment konzentriert haben. Wir haben ein Angebot für jeden, natürlich mit hohen Qualitätsstandards“,
erläutert Gerrit. Das Sortiment umfasst durchgängig 26 Kaffees. „Viel zu viele, aus betriebswirtschaftlicher Sicht. Letztes Jahr habe ich einmal ’nen Vogel gekriegt, da hatten wir online 54! Daran sieht man, dass das allesamt Spinner sind, die das machen“, erzählt Gerrit lachend. „Natürlich ist es aber auch ganz cool, wenn du bei uns in der Rösterei an den vollen Regalen vorbeigehst. Ob Länder, Varietäten oder Aufbereitungsmethoden – wenn du was über Kaffee lernen willst, kannst du zu uns kommen, denn wir haben immer alles da. Wir sind tatsächlich die einzige Rösterei in ganz Deutschland, die jedes Jahr mindestens zehn Geishas hat, und das, würde ich sagen, ist komplett bescheuert!“


In den Supermärkten gibt es einige Fairtrade, organic oder doppelt zertifizierte Produkte, „da es hier eine Kundenanforderung ist“, erklärt Gerrit. Ansonsten legen die Berliner nicht wahnsinnig viel Wert auf Zertifikate, sondern wählen lieber den Weg, transparent zu kommunizieren, von wem der Rohkaffee stammt. „Ehrlich gesagt glaube ich, ist diese Transparenz für beide Seiten – uns als Produzent und den Käufer – die beste Rückversicherung, dass da nicht betrogen wird. Würden wir in diesen Themen betrügen, wären wir schnell weg vom Fenster“, meint Gerrit.
Aller guten Dinge sind vier
In allen vier 19gram-Cafés gibt es Vollküchen. „Eigentlich sind wir Brunch-Läden mit vielen regionalen Produkten und einem sehr australischen Touch. Wir hängen dieses Kaffeethema nicht so hoch, dass du verschreckt wirst. Manche Specialty Läden haben große Siphons auf den Tresen, da wird ’ne riesen Zauberei gemacht mit ’ner Aeropress für 6,70€, das machen wir nicht“, beschreibt Gerrit das Konzept. Besonderen Wert wird auf den Wohlfühlfaktor gelegt und darauf, dass alle Barista nicht nur sehr geübt in ihrem Handwerk sind, sondern darüber hinaus über alle Produkte Bescheid wissen, da in jedem der Shops das komplette Portfolio erhältlich ist. „Viele finden es spannend, eine Reise durch die Welt des Specialty Coffee zu machen und die brauchen Beratung und auch mal einen Tipp, was sie als nächstes probieren könnten“, so Gerrit. Ein weiterer Pfeiler ist das freundliche Miteinander: „Die gesamte Attitüde der Marke ist ‚happy people‘, wir sind alle nett zueinander – mit Ausnahmen, weil jeder mal einen schlechten Tag hat. Außerdem sind wir sehr international. Unsere Röster kommen beispielsweise aus Australien, Hongkong und Somalia. Dann ist das schon cool. Das ist das, was uns auszeichnet. Das sehen wir auch in den Kunden, die mögen das.“


Besonderes Engagement beim Cup of Excellence
Eine ausgeprägte, langjährige Verbundenheit pflegt nicht nur Sascha als Judge, sondern das gesamte 19grams-Team zum Cup of Excellence. „Das Interessante ist für mich bei den Cuppings auch die Objektivierung von subjektiven Geschmackserlebnissen, dabei kann man wahnsinnig viel lernen“, meint Gerrit. „Wir nehmen den Cup of Excellence sehr ernst, da er für die Farmer ein absoluter Game Changer ist. Du musst nicht gewinnen, aber wenn du schon in die Top 10 kommst, hast du im Jahr darauf ein völlig anderes Preisbild für die Produkte, die von deiner Farm kommen.“ Da während der weltweiten Lockdowns und den damit verbundenen Reisebeschränkungen in den letzten zwei Jahren keine Veranstaltungen in den Anbauländern stattfinden konnten, wurden weltweit etwa zehn lokale Cup of Excellence Center errichtet. Als ein Standort wurde die 19grams Rösterei am Alex gewählt, deren Räumlichkeiten das notwendige Equipment bieten. „So konnte der ganze Zirkus bei uns stattfinden, weil wir es eben auch sehr ernst nehmen und über die ganzen Jahre schon dabei sind. Während der Zeit haben wir etwa 10-15 Cuppings bei uns im Labor mit durchgejudged. Das war ’ne ganz große Nummer, ’ne Ehre,“ erzählt Sascha stolz. „Nach diesem langen Weg, den ich gelaufen bin, diese Sachen hosten zu können und zu ermöglichen, dass die Produzenten ihren Honor durch uns und mit uns bekommen, das ist schon was Besonderes!“ ˙

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