Röster des Jahres 2023

Der „Röster des Jahres 2023“ ist Wildkaffee aus Garmisch-Partenkirchen. Sie überzeugten die Jury über einen längeren Zeitraum mit der Qualität der angebotenen Kaffees, im Kundenservice sowie bei der Nachhaltigkeit im Einkauf der Rohkaffees.

Zweimal Erfolg: Hardi und Stefanie Wild haben vom Profisport (Eishockey und Ski) zum Rösten gewechselt.

Berlin dankt (in Form des letztjährigen Titelträgers „19grams”) ab und macht nach einem Jahr des gefeiert werdens Platz für den Neuen. Unser Titel „Röster des Jahres“ geht 2023 tief in den Süden, ins Oberbayerische Garmisch-Partenkirchen. Wer dort die Rösttrommel rührt? Wildkaffee! Überzeugen konnte das Team um Leonhard und Stefanie Wild in den üblichen Kategorien: Rohkaffeeauswahl inklusive Nachhaltigkeitsbestrebungen, Röstqualität sowie Sortiment, Kundenservice plus Nutzerfreundlichkeit des Onlineshops, Verpackung und Liefergeschwindigkeit.

Von der Hinterhof-Rösterei zum Röster des Jahres
Leonhard, genannt Hardi, und seine Frau Stefanie Wild beginnen ihre Karrierelaufbahn als Profisportler: er im Eishockeyring, sie auf der Skipiste. Dass nach dem Karriereende eine andere Erwerbsmöglichkeit her muss, steht für beide fest. Bereits 2004 machen sie sich neben dem Sport in der Gastronomie selbstständig. Zuerst mit einem Subway nach Franchise-Prinzip, einem der Ersten in ganz Bayern. „Wir haben schnell erkannt, dass Kaffee unsere Leidenschaft ist“, erzählt Hardi. „Als Sportler trinkt man viel Kaffee!“ 2006 macht er seinen ersten Barista-Kurs und entwickelt erste Café-Konzepte, zwei Jahre später kommt das Rösten hinzu. 2010 ist es soweit: Das Ehepaar gründet Wildkaffee.


Heute gibt es die Rösterei im Gewerbegebiet von Farchant bei Garmisch-Partenkirchen und ein Café im Zentrum von Garmisch, das mittlerweile ein langjähriger Mitarbeiter führt. Ende Juni wird nun auch Wildkaffee Österreich eröffnen. Mit einem Standort in Wien, geleitet vom treuen Freund und Geschäftspartner Martin Wölfl, der für Wildkaffee bei den Brewers Cup Championships in Athen teilgenommen hat.


Sie haben schon viele Meisterschafts-Kaffees geröstet, stehen Teilnehmern immer wieder gerne unterstützend zur Seite. Selbst tritt Hardi 2010 bei seiner ersten und einzigen Latte Art Meisterschaft an. „Das war die reinste Katastrophe“, berichten die beiden lachend. „Damals war das ja noch nicht so wie heute, ich hatte mir die Regeln nicht mal durchgelesen, kam mit viel zu großen Tassen und wurde disqualifiziert“, erzählt er weiter. „Das Regelwerk ist mittlerweile zu kompliziert, eine Teilnahme wahnsinnig kostenintensiv. Ich finde Meisterschaften dennoch super, da man sich so viel mit dem Thema beschäftigt, dass man daraus unheimlich viel lernt. Man verkostet viele Kaffees zusammen, beschäftigt sich nochmal viel mehr mit Röstprofilen und lernt dadurch sehr viel“, findet Hardi.


Das Sortiment
Die Wild-Kollektion kann in drei Linien unterteilt werden: Einmal gibt es die ausgerösteten Kaffees, die gut als Espresso funktionieren. „Wir rösten nicht zu dunkel, wir möchten immer noch den Ursprung erkennen. Was wir als dunkel bezeichnen, ist für andere aber eher Medium, es kommt immer auf die Sichtweise an“, verrät Hardi. Die mittlere Röstung beschreibt er als „schön entwickelte Kaffees auf der helleren Seite“ und als drittes wären da noch die hellen, „ganz hellen“ Röstungen.


„Wir suchen immer überall gute und verrückte Kaffees, auch die ganz speziellen Sachen“, führt er weiter aus. Wildkaffee möchte der Röster sein, der ein bisschen von allem anbietet. Während die Firmengründer selbst eher auf der helleren Seite sind, haben sie beispielsweise auch einen Canephora-Blend im Angebot. Beim Einkauf sind 84 Punkte unterster Standard. Nach oben hin geht es bis zum Besten, was verfügbar ist.


Die Produktvielfalt spiegelt sich im breit gefächerten Kundenstamm wider: Von Gastro- über Bürokunden und Coffee Shops bis hin zu Reselling-Plattformen im Internet. Der Fokus liegt ganz stark aber auch auf dem eigenen Online-Shop. „Jeder, der guten Kaffee will und unsere Philosophie versteht und die Werte vertreten kann, die wir haben, der ist ein guter Kunde für uns, egal ob groß oder klein!“, so Hardi.


Ins Auge stechen die originellen Verpackungen. „Die sind eigentlich ein bisschen aus der Not heraus entstanden“, berichten die beiden Geschäftsführer. „Wir haben mal einen Burundi Kaffee bekommen, für den wir noch keine Aufkleber hatten. Was wir dazu aber hatten war ein cooles Foto. So haben wir das einfach als Karte an der Verpackung befestigt.“ Da die Geschichte mit den Karten irgendwann allerdings zu viel Arbeit wird, gehen sie zum Bedrucken der Packungen über. Die coole Aufmachung bleibt jedoch erhalten. „Oft sind es unsere eigenen Ideen, an denen wir uns entweder selbst versuchen oder die wir von Designern umsetzen lassen“, ergänzt Steffi.


Direkter und fairer Handel
Zu Zeiten der Gründung Wildkaffees ist von Direct oder Fair Trade noch nicht großartig die Rede. „Der Einkauf lief ganz klassisch so ab, dass man Preislisten zugeschickt bekam und Kaffee davon bestellte“, erzählt Hardi. Durch mehrere Reisen in die Ursprungsländer wird jedoch bald klar, dass sie keinen Kaffee unbekannter Herkunft mehr kaufen wollen, sondern genau wissen wollen, wie ihr Kaffee angebaut wird und wie die Arbeitsbedingungen dabei sind. Gerade ihre ersten Reisen nach Nicaragua haben Hardi und Steffi dahingehend sehr geprägt. „Dort haben wir gesehen, wie sehr diese Länder unter unserem Kaffeekonsum leiden, weil Kaffee bei uns eben so billig sein muss, dass für die Bauern kaum etwas übrig bleibt“, berichten die beiden Firmengründer. Um 2012 beginnen sie mit dem Aufbau ihres eigenen Handelsnetzwerks. Seitdem gehen sie beim Rohkaffee-Einkauf keine Kompromisse mehr ein. Neben Zentralamerika und den Kanaren pflegt Wildkaffee enge Kooperationen mit ihrem indischen Farmer sowie dem Amerikaner Eric Wright, der eine Plantage in Ruanda betreibt.

Auch Brasilien ist eines der Hauptbezugsländer. „Nachhaltige Arbeit ist sehr kostenintensiv und arbeitsaufwändig“, erzählt Hardi. „Von daher kann man auch nicht zu viele Projekte auf einmal angehen. Darum gibt es auch Farmer, mit denen wir ganz klassisch zusammenarbeiten und Kaffee kaufen. Direct Trade ist ein blöder Name, weil er sehr oft missbraucht wird, wir verwenden den so eigentlich gar nicht. Vielmehr sprechen wir von nachhaltigem Handeln oder wie auch immer man es nennen mag. Das geht auch nicht von heute auf morgen, dass man alles direkt kaufen kann. Natürlich ist das auch eine finanzielle Herausforderung, die wir uns am Anfang gar nicht leisten konnten. So sind wir es Schritt für Schritt angegangen und beziehen heute über 85% unseres Rohkaffees direkt“, führt Hardi weiter aus. „Leider wird immer noch zu wenig guter Kaffee getrunken. Ich glaube, wenn man wirklich guten Kaffee nimmt – ordentlich geröstet und ordentlich angebaut – dann kommt man wahrscheinlich auf höchstens 1% in Deutschland. Wenn das Geld beim Verbraucher knapp ist, dann verstehen wir natürlich auch, dass nicht jeder Kaffee für 30, 40€ das Kilo kaufen kann. Aber Kaffee wird immer getrunken werden, wir sehen da sehr positiv in die Zukunft!“


Coffee School Project und eigene Farm in El Salvador
Trotzt optimaler Anbaubedingungen und langer Kaffeeanbautradition geriet das Geschäft mit Specialty Coffee aus dem Zentralamerikanischen El Salvador in den letzten Jahren ins Stocken. Die Gründe dafür sind vielfältig: Hohe Kriminalitätsrate, betrügerische Kaffeehändler und Blattrost. Zudem wurden viele familiengeführte Plantagen verlassen, da sich der Nachwuchs der ehemaligen Farmer durch bessere Bildungschancen anderen Berufswegen widmete. Wildkaffee sucht gezielt nach brachliegenden Flächen, um diese wieder aufzuforsten. „In den letzten zwei Jahre konnten wir sieben Hektar neu aufbereiten, insgesamt haben wir noch 20 Hektar komplett verlassener Farmen im Auge“, erzählt Hardi. Die ersten Schattenbäume wurden schon entweder neu angepflanzt oder bestehende wieder aufgepäppelt. Das Farm-Projekt starten sie vor zweieinhalb Jahren mit ihrem langjährigem Geschäftspartner und Mann vor Ort, Rodolfo Ruffatti. Der Anbau erfolgt mit eigenem Kompost und mithilfe von Mikroorganismen, ist somit eine Mischung zwischen Biodynamisch und Bioanbau.


Vom Coffee School Project sollen mit gezielten Schulungen, beispielsweise über die neuen Techniken, die Optimierung des Anbaus, der Ernte und der Aufbereitung, alle Farmer gleichermaßen profitieren. Wildkaffee möchte dadurch eine Community schaffen, die nachhaltigen Specialty Coffee produziert und sich gegenseitig unterstützt. „Nicht alle Mitglieder sind biozertifiziert, machen aber biologischen Anbau. Darauf legen wir extrem viel Wert, genau zu wissen, wer unseren Kaffee anbaut. Wir wollen nicht stehenbleiben, sondern schauen immer, was es Neues gibt, was man verändern kann“, so Hardi.

La Palma Specialty Coffee von der Finca Anthea Café
Wildkaffees ‚La Palma Geisha‘ ist ein europäischer Specialty Coffee von den Kanaren. Mit dafür verantwortlich, dass Kaffee von den Kanaren wieder im Kommen ist, sind die Geschäftspartner und Kaffeefarmer Jens Kimmel und Rosi Pomprol. Weitere Projekte sind für die Zukunft geplant: Der Aufbau einer hiesigen Coffee School sowie Kaffeereisen in Europa. „In viereinhalb Stunden ist man ab München per Direktflug auf der Kaffeeplantage“, erzählt Hardi. „Das macht das Ganze natürlich ein bisschen leichter.“


Bislang gibt es nur wenig Kaffee von der Insel; eine Handvoll Kleinstfarmer produziert dort momentan. Neue Flächen sollen jedoch erschlossen und die Anbauflächen ausgebaut werden. „Wir wollen dort unsere Art des Coffee Farmings machen!“, erzählt Hardi. Aktuell werden auf den Kanaren zwei verschiedene Varietäten kultiviert: Castillo und Geisha. Der Castillo, eine typisch kolumbianische Varietät, wurde erst vor etwa 15 Jahren vom kolumbianischen Kaffee-Farmer José mit auf die Kanaren gebracht.


Rösterei und Röstmeister
In den wohlduftenden Hallen von Wildkaffee wird an verschiedenen Röstmaschinen gearbeitet. Am Loring 35 werden die Spezialitätenkaffees in 15kg Batches veredelt. „Damit machen wir alles, was hell und mittel ist“, sagt Hardi. Die Hauptarbeit leistet ein 60kg IMF Röster. Für frisch eingetroffene Lieferungen stehen zusätzlich zwei Proberöster bereit: Ein Nukleus Link Sample Roaster aus Australien und ein Roest. Geröstet wird in Farchant drei- bis viermal die Woche. Röstmeister und Verantwortlicher für den Rohkaffeeeinkauf ist Josef Staltmayr, der bereits seit 2011 fester Bestandteil des Wild-Teams ist. Gelegentlich reist er auch mit in den Ursprung und ist eine wichtige Instanz beim Verkosten. „Beim Rösten haben wir einfach unsere eigene Identität, so wie jeder unserer Kollegen auch“, meint Hardi. „Gibst du einen Kaffee vom gleichen Farmer fünf verschiedenen Röstern, schmeckt er eh immer ganz anders.“


Dank der vielen Partner und Farmer vor Ort schaut man bei Wildkaffee auch bei den Aufbereitungsprozessen, was es an Innovationen gibt. „Wir wollen niemandem vorschreiben, wie sie ihren Job zu tun haben, sondern suchen uns von vornherein fähige Partner. Jeder soll das machen, was er am besten kann. Kaffeerösten machen wir und die machen den Anbau“, erzählen die Wilds. Durch umfangreiches Feedback beim Verkosten schaut das Team gemeinsam mit den Farmern, was möglich ist, um den Kaffee noch besser zu machen.


Wichtig ist es Steffi und Hardi zu betonen, wie bedeutend das Team ist. „Wir sind ja nur ein kleiner Teil von der Firma, wir haben sie gegründet und aufgebaut und das Lob gebührt aber natürlich auch unseren ehemaligen Mitarbeitern, die Wildkaffee jahrelang super vorangebracht haben. Röster des Jahres, das sind ja nicht wir, sondern unser Röstmeister, das gesamte Team und nicht zu vergessen die Farmer. Die machen einfach so einen wichtigen Job. Wer schlussendlich den gravierendsten Anteil hat, ist im Nachhinein natürlich immer schwer herauszufinden für die Kunden. Die Farmer stechen aber heraus bei dem Ganzen!“ ˙

Zum Röster des Jahres 2023: www.wild-kaffee.de