Wasser ist ein wesentlicher und dennoch unterschätzter Faktor in der Zubereitung von Kaffee, denn gerade für den Geschmack ist es von großer Bedeutung. In unserer Serie stellt uns der crema-Autor und Kaffeeexperte Dr. Steffen Schwarz die wichtigsten Wissensgrundlagen vor, für alle, die beim Thema Kaffee mitreden möchten.
Wir „kochen“ alle nur mit Wasser – eine Weisheit, die der Volksmund lehrt und gerne verbreitet. Aber ist es wirklich „nur“ Wasser? Eine andere sehr bekannte Aussage ist das vielzitierte „Kaffee kochen“, was genauer betrachtet natürlich auch falsch ist – denn das Wasser wäre mit einer so hohen Temperatur natürlich viel zu heiß und würde zunächst den Kaffee verbrennen und später auch noch die Geschmacksknospen schädigen. Das Getränk müsste aufgrund seiner Temperatur sogar als kanzerogen eingestuft werden.
Was hat es denn nun genau mit der Temperatur auf sich und was macht Wasser so komplex? Auf jeden Fall handelt es sich um zwei der wesentlichsten – leider völlig unterbewerteten – Faktoren, neben dem Kaffee und seiner Vermahlung, um eine perfekte Tasse Kaffee zu brühen. Aber fangen wir ganz vorne an. Der Kaffee, die Rohkaffeeauswahl und das zugrundeliegende Röstprofil, das verwendete Wasser und die für die Zubereitung genutzte Temperatur hängen alle unmittelbar miteinander zusammen.
Als weiterer Faktor kommt natürlich noch die Mahlung hinzu. Kaffee ist im Gegensatz zu Bier oder Wein ein halbfertiges Getränk und muss daher noch korrekt gemahlen und in der richtigen Dosierung mit einem passenden Wasser und einer angepassten Temperatur zubereitet werden. An dieser Aufgabe scheitern die meisten in mehrfacher Hinsicht.
Wasser ist nicht gleich Wasser
Fangen wir einmal beim Wasser an. Wasser, wie wir es kennen, besteht nicht einfach nur aus Wasser, also reinem H2O. Es enthält neben dem reinen Wasser auch Mineralien und Salze. Diese werden im Laufe des Wasserkreislaufes in das Wasser auf dem Weg zum Ozean eingebracht und aufgenommen. Je nach Säuren, die das Wasser aus den Erdschichten aufgenommen hat und folgend in Abhängigkeit von den Gesteinsschichten, die das Wasser danach durchlaufen hat, erhält es eine unterschiedliche Mineralisierung. Zusätzlich können dem Wasser Verunreinigungen zugeführt werden, die unterschiedlichste Herkünfte haben können. Stellvertretend seien hier nur Waschmittel (Tenside) und Düngemittel (Nitrate), Öle, Medikamentenrückstände, Hormone, Mikroplastik, Blei oder Legionellen genannt.
Zunächst ist es daher wichtig, alle Verunreinigungen aus dem Wasser zu entfernen um ein sauberes Rohwasser zu erhalten. Dieses muss nun den jeweiligen Bedürfnissen des Kaffees und der angedachten Zubereitung angepasst werden. In zahlreichen Workshops haben wir gelernt, wie schwer sich viele Kursteilnehmer mit der Vorstellung der Wasserhärte und den daraus resultierenden Effekten für den Kaffee in der Tasse und den entstehenden Geschmacksprofilen tun. Daher soll hier nun noch einmal alles möglichst einfach und klar dargestellt werden.
Unterschiede von Härte
Sämtliche durch Kohlensäure, Schwefelsäure-, Salzsäure-, Salpetrige Säure-, Salpetersäure- und Phosphorsäurespuren gelösten Erdalkalimetalle (die dann als Carbonate, Sulfate, Chloride, Nitrite, Nitrate und Phosphate vorliegen) werden als Gesamthärte bezeichnet. Es gilt dabei, zwischen der Gesamthärte, der Carbonathärte (Calciumhärte) und der Nichtcarbonathärte (Sulfathärte) zu unterscheiden und deren Bedeutung und Einfluss zu verstehen. Die Gesamthärte ist dabei die Summe der Carbonathärte und der Nichtcarbonathärte.
Alle an Kohlensäure gebundenen Anteile bilden die Carbonathärte, die auch als temporäre, vorübergehende oder variable Härte bezeichnet wird. Sie wird zum größten Teil durch CaCO3 (Calciumcarbonat oder „Kalk“) bzw. Dolomit (Ca-Mg-Mischcarbonat) gebildet und stellt den größten Anteil der Wasserhärte weltweit dar und ist daher für die Wasserhärte von besonderer Bedeutung. Die Nichtcarbonathärte (permanente oder bleibende Härte), die wiederum in Sulfathärte (auch Magnesiumhärte oder Gipshärte genannt) und den verbleibenden Salzen differenziert werden kann, wird überwiegend von CaSO4 (Calciumsulfat oder „Gips“) und MgSO4 (Magnesiumsulfat) gebildet.
Hartes und weiches Wasser
Es ist daher ein vereinfachendes Bild, sich Wasser als einen Bus vorzustellen. Dieser Bus hat Sitzplätze, auf denen er verschiedene Bestandteile transportieren und sich also mit ihnen anreichern kann. Die Anzahl der freien Sitzplätze stellt seine Extraktionskapazität dar – also das Vermögen, Bestandteile aus dem Kaffee herauszulösen und aufzunehmen.
Je härter ein Wasser ist, desto mehr Mineralien und Salze enthält es, und somit sind viele Plätze des Busses bereits besetzt, was zu einer geringeren Extraktionskapazität des Wassers führt. Es können also deutlich weniger Bestandteile aus dem Kaffeemehl im Rahmen des Extraktionsvorganges aufgenommen werden. Der Kaffee schmeckt eher stumpf und bitter.
Weiches Wasser ist dagegen wie ein leerer Bus, es besitzt kaum oder fast keine Mineralien, die die Plätze besetzen, und kann daher sehr viele Anteile aus dem Kaffee extrahieren – hierbei kann es auch zu einer Überextraktion kommen. Der Kaffee schmeckt dann sauer und lässt Körper und Balance vermissen.
Am besten kann die jeweilige lokale Wasserhärte im Internet gesucht oder beim lokalen Wasserversorger angefragt werden. Detaillierter kann darüberhinaus noch eine Wasseranalyse sein, bei der Rohwasser aus der Leitung vor der Kaffeemaschine entnommen und an ein spezialisiertes Labor eingeschickt wird, z. B. das Wasserlabor von Brita in Taunusstein. Hier wird dann das Wasser detailliert untersucht und Handlungsempfehlungen für die Wasservorbehandlung zur Kaffeezubereitung abgegeben. Es ist dabei wesentlich, zu verstehen, dass Carbonate einen anderen Einfluss als Sulfate oder Nitrate oder sonstige Bestandteile für das Geschmacksbild des Kaffees besitzen und ebenfalls unterschiedliche Strategien zu ihrer Reduktion erfordern. Technisch ist es dabei derzeit schwieriger, weiches Wasser aufzuhärten, als härteres Wasser zu enthärten.
Wasserhärte und der Geschmack
So sollte es nun also verständlich sein, dass Wasser der gleichen Gesamthärte völlig unterschiedliche Geschmacksbilder beim gleichen Kaffee entwickeln kann und daher „allgemeine“ Empfehlungen zur Wasserhärte ohne Differenzierung der Härtetypen und Wasserkomposition reine „Augenwischerei“ und „Hokuspokus“ sind. An dieser Thematik leiden und scheitern auch viele Bäckereien und Systemgastronomen, die gerne mit einer festen Maschineneinstellung und einer definierten Wasserhärte an allen Standorten gleiche Produktqualitäten anzubieten versuchen – hier müsste eine andere Strategie gewählt werden, die eine tiefergehende Auseinandersetzung mit Kaffee und seinem Extraktionsverhalten voraussetzt.
Röstprofile, Mahlgrade und Wassertemperatur können neben der technischen Möglichkeit der Filtration ebenso dazu beitragen, den Kaffee und das Wasser aufeinander abzustimmen, auch solche Faktoren berücksichtigen wir in unseren Schulungen und bilden diesbezüglich gesamtheitlich aus. Die Brühtemperatur ist ein weiterer, viel zu unterschätzter Faktor der Kaffeezubereitung – in den meisten Fällen wird viel zu heiß gebrüht und der Kaffee damit verbrannt. Leider ist die Relevanz und der Anteil der Temperatur meist hinter der Mahlung zurückgetreten, weil dort über die Zubereitungsgeschwindigkeit eher die Produktqualität im Rahmen eines Wareneinsatzes „kontrolliert“ werden kann.
Niedrigere Temperaturen für mehr Genuss
Zusätzlich besteht eine Erwartungshaltung eines nicht vorgebildeten Marktes an Kaffeegetränke, die deutlich heißer sind, als aus Sicht eines balancierten Geschmacksbildes (Flavourprofils) sinnvoll wäre. Das Empfinden ist hierbei stark haptisch geprägt und es dauert eine Weile, bis die Menschen die Komplexität eines balancierten Kaffees wahrnehmen, der dann auch bei weniger heißer Zubereitung und auch noch im Auskühlen hervorragend schmeckt. Dieses Phänomen lässt sich auch sehr schön am Cappuccino erkennen. Die meisten Gäste fordern zunächst ein heißes bis sehr heißes Getränk, das in keinster Weise balanciert ist, und in dem folglich auch keine natürliche Süße und samtige Cremigkeit besteht und hervortreten kann. Erst wenn die Gäste bewusst einen korrekt (kühler zubereiteten Cappuccino mit maximal 65°C) im Vergleich zu einem deutlich heißeren Cappuccino verkosten, stellen sie fest, wie viel angenehmer und runder der kühlere – und damit korrekt zubereitete Cappuccino schmeckt.
Die Proteine der Milch, die maßgeblich für die Milchschaumbildung (und damit die Cremigkeit des Cappuccino) verantwortlich sind, denaturieren bei höheren Temperaturen und verändern infolge ihre Struktur und Textur. Wer einmal einen korrekt zubereiteten Cappuccino getrunken hat, lehnt die heißen Varianten künftig ab – gleiches gilt für Espresso, Filterkaffee oder Café Crème. Alle verlieren Textur, natürliche Süße und Balance durch eine zu heiße Brühung.
Zu heiß gebrühter Kaffee ist gesundheitsschädigend
Inzwischen wurden auch eindeutig Zusammenhänge zwischen hohen Getränketemperaturen und der Bildung von Oesophaguskarzinomen (Speiseröhrenkrebs) nachgewiesen. Besonders in China, wo der Konsum kochend heißer Suppen sehr beliebt ist, oder in Südamerika, wo Mate-Tee ebenfalls bei höchsten Temperaturen konsumiert wird, besteht die höchste Inzidenz von Karzinomen der Speiseröhre. Eine EU-Vorschrift hierzu ist bereits in Vorbereitung und wird in naher Zukunft die Hersteller von Kaffeemaschinen und Getränkeautomaten verpflichten, sicherzustellen, dass die Getränke mit einer Höchsttemperatur von 65°C abgegeben werden können. Eine sehr gute und dringend notwendige Regelung. Persönlich kann ich mich noch genau erinnern, wie die Brühtemperatur bei den ersten Baristameisterschaften noch bei 94–95°C lag – eine viel zu hohe Temperatur, die in vielen Fällen und bei vielen Kaffees auf 90°C oder sogar einige Grade darunter reguliert werden kann und zu einer viel besseren Textur und hohen natürlichen Süße mit betonten Fruchtnoten führt. Ich bin stolz darauf, hier maßgeblich an einer Änderung der Situation mitgewirkt zu haben. Sogar Extraktionen bis zu einer Temperatur von 65°C führen bei einem ausgewähltem Kaffee und einem angepassten Röstprofil zu einzigartigen Ergebnissen.
Auch unsere Filterkaffees werden mit einer höchsten Temperatur von 92°C gebrüht – häufig auch darunter – und entfalten so ihre einzigartigen und vollmundigen Geschmacksprofile, bei einem Wasser, das wir selbstverständlich zuvor angepasst auf eine Gesamthärte von ca. 5,8°DH herabgeregelt haben. Alles ist dabei aufeinander abgestimmt, die Kaffees, ihr Röstprofil, die Mahlung, die Wasserhärte und die eingesetzte Temperatur. So entsteht ein Kaffeegenuss auf höchstem Niveau, der bei einmal korrekt ermittelten Parametern auch immer wieder leicht reproduziert werden kann und damit sehr stabile Ergebnisse liefert.
Der Autor:
Dr. Steffen Schwarz ist crema-Autor der ersten Stunde und einer der renommiertesten Kaffee-Experten weltweit. Seine Informations- und Schulungsplattform „Coffee Consulate“ gilt als eine der Topadressen für die Kaffeeausbildung in Europa.