Schon klar: das Letzte was guter Kaffee braucht ist Zucker. Doch die Lebenswirklichkeit sieht nun mal anders aus. Noch immer süßen die meisten Menschen ihren Kaffee nach. Wir stellten uns daher die Frage: gibt es für diese verlorenen Seelen wenigsten eine sinnvolle Alternative? Wir haben uns geopfert und den Zuckertest gemacht.
Bei der Zucker-Degustation unterstützt uns Jörg Studt als Experte. Mit seinem Bio Kaffee Catering ‚Barista to go‘ ist er seit über 12 Jahren und damit als einer der ersten fokussierten Anbieter für Kaffee Caterings europaweit unterwegs, um Besucher auf Messen und Events mit Kaffeespezialitäten zu versorgen. In seinem Café Loft in Köln, das schon fast als kleines Museum durchgeht, gibt er zudem private Schulungen für Kaffeeinteressierte und Home-Baristas. Wenn Jörg selbst auch zu den Zuckerabstinenzlern zählt, beobachtet er das Trinkverhalten seiner zahlreichen unterschiedlichen Gäste seit Jahren und kennt deren Vorlieben beim Zuckern ganz genau. Für unseren Zuckertest mahlt der Senior Barista, wie er sich selbst nennt, den Espresso Blend Amalfitano von Schamong in der Mazzer Mini und zieht die Espressoshots mit der Rocket Cellini Evoluzione. Wir testen die sechs unterschiedlichen Süßmacher in drei Schritten: erst pur, danach im Espresso und schließlich als Cappuccino. Um die Süßkraft vergleichen zu können, nehmen wir einen gehäuften Espressolöffel als Richtwert.
Unseren Test beginnen wir zum Einstimmen der Geschmacksnerven mit klassischem weißen Kristallzucker. Der Ruf des Haushaltszuckers wurde über die Jahre immer schlechter – heute wird er fast durchgehend als kariesverursachender und diabetesauslösender, viel zu kalorienreicher Dickmacher verpönt. Trotzdem hat Statistiken zufolge jeder Deutsche im Jahr 2013 33kg Zucker zu sich genommen. Grund dafür ist wohl vor allem, dass er massenhaft versteckt in Fertigprodukten, Limonaden oder Gebäck lauert. Für die einen zählt er damit fast schon als Grundnahrungsmittel, während Andere akribisch versuchen, jeglichen Konsum zu vermeiden. Als Kaffeetrinker hat man in der Regel die Wahl: „Mit Milch und Zucker?“ ist schließlich seit jeher Standardfrage im Café.
Wir nehmen uns den ‚Unser Land‘ Zuckervor. Die auf der Verpackung beschriebenen feinen, schnell löslichen Zuckerkristalle werden nach Richtlinien des ökologischen Landbaus aus Zuckerrüben hergestellt. In diesen, oder alternativ der zweiten wirtschaftlich bedeutsamen Zuckerquelle, dem Zuckerrohr, wird Saccharose bei der Photosynthese gebildet. Der Geruch ist neutral, die Kristalle knusprig im Mund.
Trotz der beschriebenen Feinheit erscheinen uns die Kristalle noch relativ grob, zu grob für einen kleinen Espresso, der so schnell geschluckt ist, dass nicht aufgelöster Restzucker in der Tasse bleibt. „Süß wie man es kennt“, beschreibt Jörg sein Geschmackserlebnis. „Aufdringlich süß“, schiebt er kurz darauf nach.
Nun nehmen wir braunen Zucker von ‚Südzucker‘ unter die Lupe. Auf der Verpackung wird er mit den Attributen „kräftig würziger Geschmack“ angepriesen und als „würzige Zucker-Spezialität aus ausgewählten Rüben- und Rohrzuckersirupen, die Lebkuchen, Spekulatius und Süßspeisen die ganz besondere Note verleiht“ beworben. Wenn dort auch von Kaffee nicht die Rede ist, schwören viele Kaffeetrinker auf braunen Zucker als edlere Variante des Süßens. Im Volksmund gilt brauner bzw. Roh-Zucker gemeinhin als gesündere Alternative zu raffiniertem Kristallzucker. Tatsächlich wird er genauso produziert wie der weiße Verwandte, lediglich der Raffiniervorgang wird unterlassen, sodass noch Reste von Melasse, dem braunen Zuckersirup, enthalten bleiben. Dadurch schmeckt er malziger, karamelliger. Gesünder ist er in seinem unraffinierten Zustand jedoch auch nicht und auch der Kaloriengehalt ist mit ca. 400kcal auf 100g ähnlich wie beim Weißen.
Nach Öffnen der Verpackung fällt direkt der dominante Eigengeruch auf. Die Kristalle unterscheiden, sich abgesehen von der Farbe, kaum von den weißen und knuspern ebenso zwischen den Zähnen. Im Espresso ist der typische malzige Melassegeschmack deutlich wahrnehmbar. Er gefällt uns besser als der Weiße, da er nicht ganz so beißend, aggressiv süß schmeckt, wobei er eine vergleichbare Süßkraft mitbringt. Im Cappuccino erleben wir eine schöne Sweetness, die sich gut mit der Süße der aufgeschäumten Milch verträgt.
Als nächstes widmen wir uns einer wohl weniger bekannten Alternative am Rande der Mainstream Märkte: Bio-Getreidezucker von frusano. Hierbei handelt es sich um eine fructosefreie, glutenfreie und vegane Alternative zu Kristallzucker und Süßungsmitteln, die aus getrocknetem Glucosesirup aus Bio-Mais gewonnen wird. Wie Traubenzucker besteht der Getreidezucker überwiegend aus Glucose: Von den 96g Zucker sind 91g Glucose und 5g Maltose – Traubenzucker und Malz also. Laut Hersteller kann der Getreidezucker 1:1 wie Kristallzucker verwendet werden, wobei das Ergebnis dann etwas weniger süß ist. Im Test erweist sich die Mais-Süße als sehr feinkörnig und dadurch bedingt schnell auflösend. Wie Traubenzucker zergeht das weiße Pulver auf der Zunge in eine unaufdringliche Süße und zeichnet sich durch einen fast neutralen Geruch aus. Im Espresso unterstreicht der Getreidezucker die Säuren enorm und hinterlässt einen auffällig unbalancierten Gesamteindruck wie man ihn sich vorstellt, wenn man Traubenzucker in Kaffee auflöst. Bei einer 1:1-Dosierung erreichen wir lediglich einen schwachen Effekt. Erst bei der doppelten Menge von zwei Löffeln schmeckt das Ergebnis ähnlich süß wie Kristallzucker. Im Cappuccino legt sich das unausgeglichene Geschmacksgefühl und wird von uns als durchaus trinkbar eingestuft.
In Tablettenform nimmt das Stevia Süßungsmittelder dm-Eigenmarke ‚Das gesunde PLUS‘ an unserem Vergleichstest teil. Die zahlreichen auf der Verpackung beworbenen Vorzüge lauten: „0 kcal pro Tablette“, „frei von Laktose und Aromen“ „angenehm süß, kalorienfrei und hervorragend für Heißgetränke wie Kaffee oder Tee geeignet“. Unser Stichwort! Aber was genau haben wir hier nun vor uns? Süßungsmittel mit Stevioglykosiden aus der Stevia-Pflanze heißt es. Noch genauer: Säureregulator Natriumhydrogencarbonat, Säureregulator Mononatriumcitrat, Süßungsmittel Stevioglykoside (Rebaudiosid RA97), L-Leucin, Füllstoff: Carboxymethylcellulose. Kryptisch wie bei einem Chemieexperiment klingt die Zutatenliste. Die kleinen, weißen Tabletten sehen aus wie herkömmliche Süßstofftabletten, verpackt zu 100 Stück in einem Plastikspender mit Dosierfunktion. Eine Tablette soll einem Löffel Zucker entsprechen. Da die Süßkraft enorm ist, kann die Zuckeralternative trotz Energiegehalt von 72 kcal pro 100g als kalorienfrei bezeichnet werden. Seit 2011 ist der Zuckerersatz in der EU als Lebensmittelzusatz E 960 zugelassen. Die Pflanzen oder Blätter hingegen haben keine Zulassung als Lebensmittel erhalten, da die genaue Zusammensetzung noch nicht erforscht ist. Von der indigenen Bevölkerung Paraguays und Brasiliens wird die auch als Süßkraut oder Honigkraut bekannte Pflanze seit Jahrhunderten zum Süßen sowie als Heilpflanze verwendet. Stevia wird oft mit einem lakritzartigen Grundgeschmack in Verbindung gebracht.
Bei den Tabletten ersparen wir uns den Geschmackstest pur dieses Mal. Eine Tablette im Espresso ist während des Trinkens erst einmal nicht schmeckbar, im Abgang bleibt ein unangenehm künstlicher, lakritzartiger Nachgeschmack hängen. Dann bemerken wir, dass sich die Tablette kaum aufgelöst hat und am Tassenboden klebt. Schnelle Süße ist hier Fehlanzeige. „Die Süßkraft braucht Zeit, um sich zu entwickeln, was beim Espresso tödlich ist“, meint Jörg. Gleiches fällt auch im Cappuccino auf: Auch nach ewigem Umrühren schwimmen die kleinen Pillen munter in der Tasse umher. Der unangenehme Nachgeschmack bleibt. Für uns ist das Produkt ganz klar durchgefallen und uns fällt kein Szenario ein, in dem wir freiwillig auf diese Tabletten zurückgreifen würden.
Bei Xucker Light handelt es sich um ein kalorienfreies Süßungsmittel auf Grundlage von Erythrit, das natürlich mittels Fermentation von Traubenzucker aus Maisstärke hergestellt wird. Die zahlreichen auf der orangefarbenen Dose beschriebenen Vorzüge lauten: Zahnfreundlich, da nicht kariesfördernd, gentechnik-, kalorien- und fructosefrei, vegan, glykämischer Index 0. Das weiße Pulver hat also keinen Einfluss auf Blutzucker- und Insulinspiegel. Ohne Zusätze von Stevia und Süßstoffen soll es einen sehr zuckerähnlichen Geschmack bieten und zudem gut löslich sein. Bei Erythrit handelt es sich um ein Zuckeralkohol, also einen Zuckeraustauschstoff, der natürlicherweise in Pilzen, Obst oder Pistazien vorkommt und für die Lebensmittelindustrie durch Fermentation hergestellt wird. 1g Xucker entspricht etwa 0,7g Zucker, ist also weniger süß und ergiebig. Nimmt man die feinkörnigen Kristalle pur zu sich, macht sich interessanterweise eine merkliche Kühle im Mund breit, bevor sie sich rasch auflösen. Xucker hat keinerlei Beigeschmack, sondern liefert einfach nur den Geschmack, den er soll – Süße. Ein gehäufter Löffel im Espresso erscheint uns in etwa so süß wie ein Löffel Haushaltszucker. Der Eindruck lässt sich als angenehme, nicht so erschlagende Süße beschreiben. Xucker tritt im Cappuccino etwas stärker hervor als im Espresso pur, ist aber auch hier keineswegs unangenehm oder zu intensiv, sondern verträgt sich sehr gut mit der aufgeschäumten Milch. Ein interessantes Produkt, bei dem uns nur der relativ hohe Preis negativ auffällt.
Der Bio Mascobado von ‚GEPA – The Fair Trade Company‘ ist ein unraffinierter Vollrohrzucker, angebaut von Kleinbauern auf den Philippinen. Das reine Naturprodukt stammt aus fairem Handel und kontrolliert ökologischem Anbau, wie ausführlich auf der Verpackung beschrieben wird. Schonend wird der süße Saft bei der Verarbeitung aus dem Zuckerrohr gepresst und anschließend unter ständigem Rühren langsam erhitzt, bis der Zuckerrohrsaft kristallisiert. Das Endprodukt nennen die Vollrohrzuckerproduzenten der Philippinen traditionell Mascobado. Die feinkörnigen Kristalle mit fester Konsistenz erinnern durch die Klümpchen irgendwie an Sand und strahlen einen mittelstarken Eigengeruch aus, der Geschmack weist die typisch karamellige Note auf. Jörg findet, dass der Mascobado den Espressogeschmack unangenehm verfälscht, sich als leicht muffig bemerkbar macht und eine ziehende Süße mitbringt. Mit seinem intensiven Eigengeschmack ähnelt der philippinische Vollrohrzucker im Cappuccino fast einer cremigen Nachspeise, meint Jörg. Unser Fazit: Für Espressotrinker ist der Vollrohrzucker nicht unbedingt empfehlenswert, ein Milchmischgetränk kann er durchaus aufpeppen und einen exotischen Touch verleihen.
Zu guter Letzt nehmen wir uns den Kokosblütenzucker von ‚Alnatura‘ zur Brust. Der vegane Palmzucker aus biologischer Landwirtschaft wird in Indonesien in traditioneller Handarbeit schonend und nachhaltig aus dem Nektar der Kokosblüte gewonnen. Pro Tag kann eine Kokospalme etwa zwei Liter Kokosnektar abgeben, der zu Sirup eingekocht und anschließend getrocknet wird. Um die gesundheitlichen Vorteile gegenüber Haushaltszucker ranken sich viele Mythen, wie es bei neuentdeckten und gehypten Superfoods oft der Fall ist. So soll der südostasiatische Exot einen niedrigen glykämischen Index haben und besonders viele Mineralien beinhalten, was wissenschaftlich jedoch noch nicht ausreichend belegt werden konnte. Fest steht, dass er sich mit seiner feinen Karamellnote gut zum alternativen Süßen von Speisen und Getränken eignet und etwa 1:1 ersetzt werden kann. Bei der optischen Begutachtung fallen uns Partikel verschiedener Größe auf, die zum Teil klumpen. Pur bemerken wir einen relativ kräftigen Geruch und Eigengeschmack, nicht extrem, doch aber leicht nach Kokos. Im Espresso ist die Kokosnote aber nicht mehr wahrnehmbar und der Kokosblütenzucker wirkt nicht zu penetrant, ist eher unaufdringlich und fügt sich gut ins Geschmacksbild ein. In Kombination mit Milch erscheint er uns sehr harmonisch, mit seiner feinen Süße besonders angenehm. „Passt schön in einen Cappuccino“, urteilt Jörg.
Das Fazit unseres Zuckerfests: Im Cappuccino machen sich alle, bis auf die Tabletten, auf ihre Art toll. Etwaige Defizite zeigen sich deutlich erst im Espresso. Wer Wert auf Nachhaltigkeit beim Süßen legt, sollte in erster Linie Getreidezucker oder Zucker aus Zuckerrüben nutzen, um die langen Transportwege der exotischen Konkurrenz zu vermeiden.
Text für das crema Magazin: Larissa Sahin Lanfer