Zu Besuch bei La Marzocco

Stefano Della Pietra war zunächst nicht auf der Liste der möglichen Nachfolgekandidaten. Bis Piero Bambi eines Tages Zeichnungen auf Stefanos Tisch liegen sah. Für Möbel.

 

Längst gibt es keine crema-Ausgabe mehr, in der nicht auf mindestens einem der Fotos aus den angesagtesten Cafés der Welt eine Maschine von La Marzocco zu sehen ist. Dabei begann alles mit Reflektoren für die Lichter von Kutschen und endet beinahe mit Starbucks.

Wer heute Piero Bambi besucht, kommt nicht auf die Idee, dass sein Unternehmen einmal in einer existenziellen Krise steckte: Sein Büro liegt im ersten Stock eines modernen Gebäudes, welches mit vielen Fenstern die Sonne willkommen heißt. Der Bau verrät einen guten Innenarchitekten: Den Mitarbeitern stehen einladende Aufenthaltsräume zur Verfügung und natürlich ein schöner Tresen mit einer prachtvollen Espressomaschine und mehreren Mühlen. Ein Spielzimmer für Kinder ist eingerichtet, auch im kinderfreundlichen Italien beileibe keine Selbstverständlichkeit. Die Konstrukteure treffen sich für Besprechungen in freundlichen Workspaces, die mit modernster Technik ausgestattet sind. Einzig das Büro von Bambi, immerhin Ehrenpräsident der La Marzocco, ist etwas klein geraten, aber das liegt eher an der Bescheidenheit des 84-Jährigen und nicht an irgendwelchen Sparzwängen. „Meine Frau sagt, ich mach’ hier nur ein Praktikum“, sagt er. Und auch wenn das ein Scherz ist, fällt es doch nicht leicht, das Arbeitsverhältnis von Bambi bei La Marzocco genau zu beschreiben.

Family Business
Es gab einmal Zeiten, da war es einfacher. Damals, als Piero Bambi Chef der La Marzocco srl war, des Unternehmens, das damals noch von einem Hügel auf Florenz hinabblickte. 1927 von Bambis Vater Giuseppe und seinem Onkel Bruno Bambi gegründet, ist es lange Zeit in Familienhand geblieben und mit Piero Bambi war lange Zeit die zweite Generation am Steuer, trotz der bereits mehr als 90 Jahre bestehenden Geschichte des Unternehmens. Ursprünglich arbeiteten die Bambis als Feinblechner, die Großeltern von Piero Bambi stellten Reflektoren für die Lichter von Kutschen her. Sein Vater, der Firmengründer, lernte das Handwerk noch von seinem Vater, Piero Bambis Großvater. Nachdem die Gebrüder Bambi auf ein neues Produkt umsattelten, entwickelte sich der Betrieb schnell zu einem bedeutenden Player im Geschäft mit Espressomaschinen, vor allem professionellen Geräten – der Handel mit hochwertigen Geräten für den Privatgebrauch nahm ja erst sehr spät Fahrt auf. Der große Erfolg hatte seinen Grund auch in einer bedeutenden Neuerung, die die beiden Brüder bereits 1939 entwickelten. Bei frühen Espressomaschinen war der Brühtank immer vertikal angeordnet. Die Maschinen der Bambis dagegen waren die ersten mit horizontal angeordneter Brühgruppe. Die Neuanordnung hat eine Reihe von Vorteilen: Brühgruppen lassen sich nebeneinander anordnen, dazu ist die Brühgruppe näher am Tank und damit bleibt sie warm. Eine weitere bedeutende Neuerung war die Installation zweier getrennter Kessel, einer für heißes Wasser und Dampf, ein weiterer für den Brühvorgang. Diese 1970 erstmals vermarktete Technik hat den Vorteil, dass das Nutzen von Dampf, etwa zum Aufschäumen von Milch, keine Auswirkungen auf die Temperatur des Brühwassers hat. Die ersten Maschinen mit diesem System aus der Serie GS sind deswegen heute noch legendär.

Mit Starbucks gewachsen
An sich war damit die Grundlage für das weitere Wachstum gelegt. 1989 baut La Marzocco eine Maschine, die speziell für einen großen Kunden zugeschnitten war: Starbucks in den USA (deren Chef im Übrigen von dem Bar-Modell in Italien inspiriert worden war). Die Maschine verfügte über einen extragroßen Dampftank, um der regen Nachfrage nach milchlastigem Kaffee in den USA nachzukommen. Die Kooperation dauert bis 2005, dann entschied sich Starbucks für eine vollautomatische Maschine eines anderen Herstellers. Das Unternehmen wollte Kosten einsparen, die für die wenigen Sekunden mehr bei der Zubereitung des Kaffees durch einen Barista anfallen. Ein herber Einschnitt für den Hersteller.

Piero Bambi sagt heute, dieser Umsatzeinbruch sei auch eine Chance gewesen, denn Starbucks musterte die La Marzocco-Maschinen aus und verkaufte sie an die damals entstehenden, kleinen Third-Wave-Coffeebars. Damit war die Marke sofort richtig platziert. In Bambis Büro hängen die zwei wichtigsten Patente des Unternehmens an der Wand. In einem Schrank hat er das Modell einer Maschine aus der GS-Serie. Als er es herausnimmt, leuchten seine Augen. Die Maschine ist sehr detailgetreu nachgebaut und kaum handtellergroß. Ein Mitarbeiter hat ihm das Modell geschenkt; sogar das Kaffeesieb funktioniert.

Anders als geplant
Wenn Piero Bambi wie hier von Veränderungen spricht, spürt man keine Bitterkeit oder Bedauern. Vielleicht, weil er Zeit seines Lebens erfuhr, wie schnell etwas anders kommt als geplant. Nicht nur der Verlust von Starbucks als Kunde ist ein Beispiel. Schon Piero Bambis Eintritt in das Unternehmen war so nicht geplant. Eigentlich sollte sein älterer Bruder Vinicio das Unternehmen übernehmen. Doch er starb bereits 1954 mit nur 19 Jahren bei einem Motorradunfall. Bambi besuchte zu dieser Zeit die Schule für Design in Prati und war dort sehr erfolgreich. Er wollte aber seiner Mutter in dieser schwierigen Zeit beistehen und kehrte zurück. Selbst ein extrem hoch bezahltes Angebot, im Iran für den Schah tätig zu sein, schlug er aus. So arbeitete er am Tag im Unternehmen, abends ging er in die Designschule. Was Piero Bambi dabei lernte, diente ihm nicht nur im Beruf, auch das Leben war ihm tatsächlich eine Schule.
„Er lehrt einen, ohne lehren zu wollen“, sagt Silvia Bartoloni, bei La Marzocco unter anderem für Gäste bei Unternehmensbesuchen zuständig. „Zum Glück konnte ich bis heute viel Zeit mit Piero verbringen.“ Am Anfang sei es aber nicht einfach mit ihm gewesen. Er stelle Leute nämlich gerne auf die Probe. Sie habe die Kaffeemaschine damals einrichten und putzen und dann auch Espresso zubereiten müssen. Piero Bambi habe gefragt, ob er einen probieren dürfe, dann dabei aber das Gesicht verzogen und den Espresso weggeschüttet. „Er wollte sehen, ob ich ihm Widerstand leiste“, sagt sie. Heute verstehen sie sich bestens. Silvia Bartoloni sagt, sie und Stefano della Pietra seien Piero Bambis Lieblinge.

Zeit für einen Nachfolger
Es sagt auch viel über Piero Bambi und die Unternehmenskultur von La Marzocco aus, wie della Pietra wurde, was er heute ist. Der freundlich lächelnde junge Mann mit den langen Locken arbeitete als Techniker für La Marzocco, zugleich suchte das Unternehmen lange einen neuen Designer für die Kaffeemaschinen. Bis dahin hatte Piero Bambi das Design übernommen, aber es war Zeit für einen Nachfolger. Kandidat um Kandidat fiel durch das Raster. Bis Bambi eines Tages Zeichnungen für Möbel auf dem Tisch eines Mitarbeiters liegen sah. Kurzerhand griff er sich die Konstruktionszeichnungen, nahm sie mit und rief den Kollegen zu sich. Anstatt ihn zu rüffeln, wieso er sich in seiner Arbeitszeit mit der Konstruktion von Möbeln befasst, bot Piero Bambi ihm einen neuen Job an. Den Verwaltungsrat hatte er zuvor schon gefragt. Die Zeichnungen von Stefano della Pietra hatten ihn überzeugt. Seitdem verantwortet della Pietra das Design der Maschinen, spricht sich aber mit Bambi auf Augenhöhe ab.

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Bambi zieht sich derweil langsam aus dem Unternehmen zurück. Inzwischen ist er nur noch vormittags da. Seine Anteile am Unternehmen hat er bereits verkauft – geknüpft an Bedingungen. So darf beispielsweise der Unternehmenssitz nicht verlegt werden, die La Marzocco-Maschinen sollen immer aus Florenz kommen. Mitentscheidend dafür war auch ein Herzstillstand, den er 1988 beim Angeln am See erlitten hatte, glücklicherweise in Gegenwart seines Arztes. „Er hat mich wiederbelebt und mir ein paar Ohrfeigen gegeben. Sagt er zumindest, ich hab es ja nicht mitbekommen“, scherzt Bambi. In der Notaufnahme des Krankenhauses, wo man ihn hinbrachte, erlitt er dann einen Herzinfarkt. Die Endlichkeit vor Augen, sah er ein, dass er sich um eine Nachfolgeregelung kümmern musste.

Der Preis, den er für den Betrieb erhielt, war so niedrig, sagt er, dass er für den Käufer in fünf Jahren refinanziert war. Zugleich umfasste er eine Jobgarantie für die Mitarbeiter. Diese wäre streng genommen nicht nötig gewesen, denn La Marzocco entwickelt sich seitdem sehr gut.
Die positive Entwicklung mag auch an der Offenheit Piero Bambis für Neuerungen liegen, die in die Firmenkultur Eingang gefunden haben. Das beste Beispiel dafür ist eine neue Serie von Espressomaschinen, die anders ist als alle bisherigen Systeme. Modbar wurde die Reihe genannt und entwickelt wurde sie, ähnlich wie die frühen La- Marzocco-Maschinen, in einer Garage. Corey Waldron, ein Gitarrist, der auch als Barista arbeitete, und sein Kollege am Bass, Aric Forbing, ein Maschinenbauer, entwickelten das neue System. Waldron störte, dass zwischen Bar-Kunden und ihm immer ein mächtiger Tresen war und er den Kunden den Rücken zudrehen musste bei der Zubereitung des Espressos. Die beiden tüftelten lange, bis es ihnen gelungen war, die nötige Technik in einen Kasten zu bauen, der unter dem Tresen versteckt werden konnte. Der sichtbare Teil ihrer Espressomaschine besteht lediglich aus einem elegant geformten Zapfhahn, der den Siebträger aufnimmt.

2007 investierte La Marzocco in das Unternehmen der Musiker und heute werden alle Modbar-Systeme für den Markt außerhalb von Nord- und Südamerika in der Toskana produziert. Nicht nur Espresso kann direkt vor dem Kunden aufgebrüht werden, auch alle anderen Funktionen professioneller Barmaschinen sind auf den Tresen gerückt. Vielleicht hat La Marzocco wieder mal auf ein System der Zukunft gesetzt – die Zeit wird es zeigen.

Text und Bilder: Sansdro Mattioli für crema Magazin Ausgabe 03/2018. Das komplette Heft gibt es hier