Selten trifft es die Zuschreibung „klein, aber fein“ derart vortrefflich wie im Falle der italienischen Espressomaschinen-Manufaktur Rocket Espresso Milano. Gerade einmal 15 Mann fertigen im Vorort Settala seit ein paar Jahren mit stoischer Konsequenz Siebträger, die zum Wertigsten gehören, das die Branche heute zu bieten hat. Grund genug für uns, den Jungs mal einen Besuch abzustatten.
WER SICH MIT Rocket trifft, der trifft sich in aller Regel mit einer Troika. Nicht nur das: Er trifft sich mit drei Generationen und – wenn man genau hinschaut – sogar mit drei Nationalitäten. Da wäre zunächst der gebürtige Neuseeländer Andrew Meo, ein drahtiger, verblüffend jungenhafter Fünfzigjähriger, weltgewandt, intelligent und ein absoluter Radfreak (was kurioserweise erstaunlich oft auf Siebträger-Fans zutrifft). Er ist gewissermaßen der Businessman der Firma. Der zweite im Bunde, Daniele Berenbruch, Italiener, Mitte 30, mag auf den ersten Blick seltsam unbeholfen wirken, entpuppt sich aber schnell als technisch mit allen Wassern gewaschen – und ist nebenbei vermutlich der netteste Kerl im ganzen Espresso-Zirkus. Und schließlich: dessen ehedem aus Deutschland eingewanderter Vater Friedrich Berenbruch, ein nie versiegender Anekdoten-Quell und gewissermaßen der Spiritus Rector, als Gründer von Espresso Coffee Machines in Mailand in den Neunzigern verantwortlich für die beiden legendären Haushaltsmodelle Giotto und Cellini auf E61-Basis, die heute zumindest rein äußerlich und vom Namen her den Kern des Rocket-Universums bilden. Offiziell ist Berenbruch senior lediglich angestellt und explizit kein Teil der Geschäftsleitung, doch ohne den quirligen, erst 2011 dazu gestoßenen Espresso-Vieltrinker wäre das Bild nicht komplett. Wen Berenbruch wirklich mag, dem mailt er kommentarlos eine vier Megabyte große Auflistung aller jemals gebauten professionellen Siebträgermaschinen. Gemeinsam sind die drei eine Show. Sie sind nichts weniger als der lebendige Beweis, dass kulturelle und menschliche Gegensätze mitunter das Salz in der Suppe (in diesem Falle ein kurzes koffeinhaltiges Heißgetränk) sein können.
Beim Betreten des rotbraunen Firmengebäudes wird jedenfalls schnell deutlich, dass es hier um mehr geht als um das Produzieren und Verkaufen von Espressomaschinen. Es geht um ein Lebensgefühl, die Passion, die diese drei Menschen miteinander teilen und die – da reicht ein kurzer Blick auf die Website – Rocket zu so etwas wie der Rock’n’Roll-Fraktion unter den Siebträger-Schmieden macht. Man spürt förmlich, dass die Mitarbeiter Spaß haben; es wird geflachst und viel gelacht, trotz Überstunden. Zu behaupten, dass dies derzeit überall in der Branche so sei, wäre eine glatte Lüge. Spätestens, wenn man am Büro des Chefentwicklers Ennio Berti (auch er ein Urgestein mit Legendenstatus) vorbeiläuft, der mit Hingabe und ohne jede Hektik nach wie vor gerne am Reißbrett entwirft(!), weiß man: Die Herren meinen’s ernst.
Sie zweifeln? Dann raten Sie doch einmal, wo Andrew Meo wohnt. Eben: in Crema, wo sonst.
Herr Berenbruch Junior, Mr. Meo: Wie sah heute Ihr jeweils erster Caffè aus … und wie war er? Andrew Meo: Bei mir persönlich startet jeder Morgen mit einem Kaffee aus der heimischen Macchina. Ich bin schwer zu ertragen direkt nach dem Aufstehen. Die erste Tasse ändert das zwar bestenfalls graduell, aber immerhin. Der heutige Versuch war ganz in Ordnung, aber mit Luft nach oben, denn momentan probiere ich mal wieder mit einem bodenlosen Siebträger herum. Sobald ich hier in der Firma zur Tür hereinspaziere, kommt dann eh prompt Friedrich um die Ecke und fragt, ob wir nicht gemeinsam eine Tasse trinken sollten.
Daniele Berenbruch: (lacht) Mein Vater kennt da kaum ein Limit, stimmt. Um die 30 Espressi am Tag können es bei ihm durchaus mal werden. Im Gegensatz zu Andrew beginne ich als Italiener meinen Tag mit einem Cappuccino auf dem Weg zur Arbeit. Al banco in der Bar, ganz klassisch.
Wann fängt man bei solch einem Vater mit dem Kaffeetrinken an? Berenbruch: Ziemlich spät. Ich muss so sechzehn, siebzehn gewesen sein. Als ich jünger war, war mir der Kaffeegeschmack immer zu stark. Ich war ein echtes Weichei, fürchte ich.
Meo: Bei mir war das ganz ähnlich, allerdings aus komplett anderen Gründen. Als ich jung war, existierte in Neuseeland quasi keine Kaffeekultur. Ich erinnere mich, dass es bei uns in der Stadt einen Laden gab, in dem mein Vater ab und an frisch gerösteten Kaffee für die Filtermaschine kaufte. Obwohl ich den Geruch durchaus mochte, trank ich meine erste Tasse sicher nicht vor meinem zwanzigsten Lebensjahr. Kaffee galt damals einfach nicht als angesagtes Genussmittel, sondern als Alte-Leute-Getränk; das war etwas, das deine Onkels und Tanten aus Thermoskannen tranken (lacht).
Dann bleiben wir doch gleich mal international: Rocket Espresso ist ja in vielerlei Hinsicht anders als andere auf den ersten Blick ähnliche Hersteller. Wie kam es zu dieser weltumspannenden Liaison zwischen Neuseeland und der Lombardei? Meo: Um es nicht zu umfänglich werden zu lassen: Ich betrieb seinerzeit in Neuseeland gemeinsam mit unserem ehemaligen Partner Jeff Kennedy eine Rösterei namens Caffè l’affare, mit der wir zugleich sehr erfolgreich italienische Maschinen importierten und vertrieben – vor allem die ECM Giotto, die Jeff um die Jahrtausendwende auf einer Messe entdeckt hatte. Bald verkauften wir pro Jahr um die 500 Stück davon. Als Espresso-Coffee-Machines-Gründer Friedrich Berenbruch wenig später entschied, sich fortan nur noch auf die Gastronomiesparte konzentrieren zu wollen, schlug Jeff kurzerhand vor, dass wir ihm die Markenrechte für die Haushaltslinie abkaufen sollten. Das haben wir dann 2007 schließlich auch getan und Rocket Espresso Ltd. gegründet. Wir haben daraufhin alle unsere gut laufenden Unternehmungen in Neuseeland verkauft und ich zog nach Mailand um. Unsere heutigen Modelle sind übrigens komplette Eigenentwicklungen.
Mit Verlaub: Hat man Sie daheim nicht gefragt, ob Sie noch alle Tassen im Schrank haben? Meo: In der Tat hat man das. Aber Made in Italy ist eben nicht nur eine hohle Phrase, sondern sollte auch ein entsprechendes technisches und kulturelles Fundament haben. Deshalb haben wir dann relativ schnell Daniele überredet, als Teilhaber einzusteigen.
Berenbruch: 2011 – drei Jahre nach dem Aus seiner eigenen Firma – ist schließlich auch mein Vater zu uns gestoßen und wir produzieren hier in Settala wieder am alten Standort. Eigentlich ist es eine große Familienzusammenführung, wenn man so will (lacht). Technisch dagegen sind alle unsere Modelle komplette Neuentwicklungen.
War Ihnen von Beginn an klar, dass Sie beruflich in die Fußstapfen Ihres Vaters treten würden? Berenbruch: Ja, denn es gab nichts, was ich lieber getan hätte. Als dann Andrew und Jeff anfragten, war das sogar noch eine Art Emanzipation. Für eine Weile brauchte ich dieses Freischwimmen von meinem Vater. Heute fühlt es sich anders an, wir diskutieren auf Augenhöhe.
Meo: Als Personen könnten die beiden übrigens nicht verschiedener sein. Daniele und Friedrich sind wie Sonne und Mond (lacht). Was Friedrich so einzigartig und unersetzbar macht, ist sein immenser Erfahrungsschatz. Der Mann baut und verkauft mit Hingabe Espressomaschinen seit 1978! Rocket ist erst knapp sechs Jahre alt – aber wir profitieren von einer langen Historie unter anderem Namen.
Was fehlte Ihnen bei anderen Herstellern – und was wollen Sie anders machen? Meo: Für mich war in meiner langjährigen Laufbahn als Unternehmer schon immer ein Faktor ganz wichtig: Kundenservice. Viele Firmen fertigen tolle Produkte, doch sobald etwas schiefläuft, beißt man als Kunde auf Granit. Das soll einem bei Rocket nicht passieren – und ich denke, das ist ein Teil unseres Erfolges. Ein anderer könnte in der Tat unser internationaler Background sein. Wir agieren anders, als es ein traditionelles italienisches Unternehmen tun würde, etwa in Marketingfragen oder auch, was die Logistik betrifft. Schauen Sie sich zum Beispiel unsere Website an. Für uns hat die Frage nach der Markenerfahrung durchaus Gewicht, da gehen wir weiter als das Gros der nationalen Mitbewerber.
Gibt es demgegenüber auch Dinge, die sie zur Weißglut treiben beim jeweils anderen Temperament? Das ist ja beinahe eine Art cultural clash … Meo: (Überlegt) Ich weiß hundertprozentig, dass ich insbesondere Friedrich von Zeit zu Zeit in den Wahnsinn treibe mit meinem sturköpfigen Perfektionismus, der jede Deadline ad absurdum führt. Bei mir ist nichts irgendwann mal abgehakt und fertig. Ich bin ein verdammter Detailfreak, vermutlich auch ein Pedant. Zumindest behauptet das meine Frau (lacht).
Berenbruch: In der Mitte stehe ich gewissermaßen und fungiere als Moderator, indem ich ein Auge auf das real Machbare habe. Letztlich ergänzt sich das sehr gut. Andrew ist bei uns oft derjenige, der eingetrampelte Pfade infrage stellt, und ich denke, das ist enorm wichtig. Es macht uns in Kombination mit unserer überschaubaren Größe beweglich und schnell.
Was nervt Sie konkret an Ihrem Vater, Herr Berenbruch? Das ist ja schon eine spezielle Konstellation. Berenbruch: Obwohl eigentlich er der Deutsche von uns beiden ist, wirkt er in einem speziellen Punkt eindeutig italienischer als ich: Etliche Dinge ließen sich vermutlich in zwei Minuten klären – mit meinem Dad dauert es mindestens eine halbe Stunde (lacht). Nicht zuletzt deshalb, weil er zu allem und jedem eine Geschichte parat hat. Mit Andrew spiele ich gewissermaßen Pingpong – mit Friedrich laufe ich Marathon. Wichtig ist allerdings beides: das Ideen-Feuerwerk und der immense Fundus an Erfahrung. Auch wenn es einen teils nervt (überlegt). Wissen Sie, ich denke, für ihn war es anfangs nicht leicht, seine Vaterrolle außen vor zu lassen – zumal als derjenige von uns, der ungeachtet seines Alters kurioserweise zuletzt an Bord gekommen ist. Ich habe diese Firma mitgegründet, nicht mein Vater. Das muss er – all seiner Erfahrung zum Trotz – respektieren. Sicher beißt er sich hie und da auf die Zunge, wenn er sieht, wie unkonventionell wir die Dinge anpacken.
Gerade in Australien und Neuseeland ist Rocket heute beinahe schon ein Synonym für Espressomaschine. Was ist das Spezielle am dortigen Markt, Mr. Meo? Meo: Nun, dass es bis vor Kurzem eben keinen gab – und wir ihn mit einigen anderen Verrückten quasi neu schaffen konnten. Wir starteten bei null, so mussten wir nicht erst gegen liebgewordene falsche Routinen ankämpfen. Jeder Neukunde bekam ein grundlegendes Training, weil er ohne vor der Siebträgermaschine gestanden hätte wie der Ochs vorm Tor. Und da 4 Millionen Einwohner eine begrenzte Größe sind, sprechen sich derlei Dinge entsprechend schnell rum. Heute gibt es einen enorm hohen Standard in den Cafès, den die Gäste natürlich in der heimischen Küche reproduzieren möchten. Da hat nahezu keiner einen Vollautomaten.
Aber wie kamen Sie seinerzeit persönlich zum Kaffee? Meo: Gute Frage … das kam einfach so. Ich hatte zuvor in der Tat schon etliches durch: Ich reparierte Autos, fuhr professionell Rennrad, betrieb ein Restaurant. Von dort war der Weg zum Kaffee dann gar nicht mehr allzu weit. Aber im Grunde bin ich seit meinem 22. Lebensjahr Unternehmer. Im Englischen sagen wir: „Jack of all trades, master of none.“(Lacht) Das trifft es in meinem Fall ganz gut.
Nach einigen Jahren, die Sie sich mit Rocket ganz und gar dem Haushaltssegment gewidmet haben, haben Sie vor einiger Zeit ein komplett neues Fass aufgemacht und bauen mit der RE-Serie nun auch Profimaschinen für die Gastronomie. Wie kam es konkret dazu? Meo: Wir haben das lange zuvor diskutiert, weil wir im Hinterkopf stets befürchteten, zu eindimensional zu sein. Die Welt bewegt sich schnell, sie ist ein hässlicher Ort, der dir keine Fehler verzeiht. Ein zweites Standbein neben dem Hauptgeschäft ist da keine schlechte Idee. Spätestens als Friedrich mit all seiner Erfahrung zu uns stieß, lag der Schritt auf der Hand. Es wäre ziemlich dumm gewesen, diese Chance nicht zu ergreifen.
Fest steht: Sie drängen hier auf einen Markt, der schon ohne Rocket unglaublich hart umkämpft und dicht ist. Meo: Stimmt. Weil wir wissen, dass wir ein tolles, konkurrenzfähiges Produkt haben. Wir konzentrieren uns aufs Wesentliche, verbessern Details, die andere seit Jahren nicht weiter beachten, statt mit schicken Displays und anderen oberflächlichen Gimmicks zu protzen. Klar sind die Paddle-Groups von Marzocco dolle Dinger – aber braucht man sie als Barista im normalen Bar-Alltag? Kaum. Da kommt es doch eher auf Zuverlässigkeit und Servicefreundlichkeit an. Darauf, ob man einen Dampfhahn bei laufender Maschine wechseln kann. Genau auf solche Dinge legen wir das Augenmerk. Eine Rocket strahlt eine ganz grundsätzliche Wertigkeit aus – und ich bezweifle, dass der Espresso auch nur einen Deut schlechter ist als aus einer Strada oder einer anderen Multiboilermaschine.
Ihre Maschinen setzen demgegenüber auf traditionelle Wärmetauschertechnik, gesteuert über eine PID-Kontrolle. Aber geht das wirklich: eine konsistente und stabile Temperatursteuerung über den Kessel – bei bis zu 4 Gruppen und 28 Litern Inhalt? Berenbruch: Natürlich, es dauert halt bloß eine Weile, Änderungen durchzuführen. Will ich im Tagesbetrieb ständig variieren, ist dies natürlich nicht der Weg, aber meist geht es ja eher um eine grundsätzliche Anpassung an einen Hausblend. Um das System temperaturstabiler zu machen, haben wir die Wärmetauscher im Vergleich zu ähnlichen Maschinen deutlich vergrößert.
Meo: Am Ende ist die Frage immer, wo mein Fokus als Nutzer liegt. Uns war die Stabilität des Systems, das Fundament wichtiger.
Es sind dennoch andere Features, die die RE-Serie auszeichnen. Wer kam auf die Idee, Geldautomatenknöpfe zu verwenden? Meo: (Lacht) Sie meinen unsere Portionstaster? Das war ich; ich bin ein frustrierter Designer und das meiste, was an dieser Stelle von der Konkurrenz verbaut wird, sieht nicht nur bescheiden aus, sondern ist auch unfassbar minderwertig verarbeitet. Es musste ganz einfach etwas Besseres geben. Man muss bloß darauf kommen, indem man abseits ausgelatschter Pfade danach sucht. Etwa in England. Den großen Bezugstaster an unseren Halbautomaten wiederum findet man gewöhnlich an CNC-Maschinen oder Geräten für Querschnittsgelähmte.
Gab es trotz allem Kollegen, die Ihnen mit Häme begegnet sind? Berenbruch: Zumindest nicht offen, aber es gab Zweifel. Letztlich aber war die Skepsis damals bei Einführung der Haushaltsmaschinen weitaus größer. Da sind wir in manchen Ländern regelrecht gegen die Wand gelaufen. Das war unsere Reifeprüfung.
Geht die Rechnung denn bis dato auf? Meo: Die Entwicklung ist durchaus vielversprechend. Natürlich dauert es, ein derart neues Produkt im Markt zu verankern, doch der Anfang ist gemacht. In Australien reißen sie uns die RE-Serie geradezu aus den Händen. Problematisch ist es überall da, wo große Maschinen ausschließlich zu Schleuderpreisen über Röstereien, also über den Kaffee, verkauft werden wie hier in Italien. Da ist die Marge gleich null.
Was glauben Sie: Wie wird sich der Markt in den kommenden Jahren verändern? Berenbruch: Technisch wird es vermutlich eine Diversifizierung geben: Auf der einen Seite wird die Konstanz, die Reproduzierbarkeit der Espressoqualität ein Thema sein – auf der anderen, im Bereich Speciality Coffee, gerade das Gegenteil: Personalisierung, Variabilität, Einflussnahme des Barista in Echtzeit. Dieser Trend dürfte weiter anhalten, sich aber kontinuierlich weiter vom Mainstream abkoppeln.
Meo: Gleichzeitig werden immer billigere, minderwertige Maschinen in den Markt drängen, weil man sich davon große Stückzahlen verspricht. Eine sehr kurzsichtige Entscheidung. Für uns kann das jedenfalls nicht der Weg sein.
Interview und Fotos: Patrick Großmann