Der Maschinist vs. La Spaziale S1 Minivivaldi II
Sie stehen auf blitzendes, poliertes Chrom? Sorry, dann sind Sie hier fehl am Platze. Denn was der Traditionshersteller La Spaziale aus Casalecchio di Reno bei Bologna – sonst eher im Profisegment unterwegs – für den heimischen High-End-Bereich sowie anspruchsvolle Büros anbietet, verströmt den Duft einer italienischen Caffè-Bar schon allein qua Optik: Auch die Dualboiler-Maschine S1 Minivivaldi II bietet Kunststoffseitenteile in Ferrari-Rot oder Schwarz, dazu eine bedienerfreundliche, aber wenig pompöse Plastiktastatur, flankiert von blinkenden LED-Leuchten. Wie so oft liegt die Bellezza im Auge des Betrachters. Völlig außer Frage aber – das zeigt der Praxistest des Maschinisten – sind die inneren Qualitäten der Lady in red.
Erstkontakt
Man sieht es schon am verteufelt schweren Karton: Die „Kleine“ aus Mittelitalien ist ein ziemlich ausladender Quader. In klassischer Balkon-Architektur gehalten, bietet sie dem Nutzer ein üppiges Arbeitsfeld, während die Seiten durch die Plastikabdeckungen erfreulich wenig putzintensiv daherkommen. Form follows function, bis hierhin. Dreht man die Maschine indes um und riskiert einen Blick auf ihr Hinterteil, kann sich zumindest der Maschinist ein Zungenschnalzen nicht verkneifen: Dieser Rücken kann wahrlich entzücken! Wer also von einer eigenen Kaffeebar im heimischen Wohnzimmer träumt, dürfte die La Spaziale schier vergöttern.
Es ist natürlich beileibe nicht bloß der Look, der die S1-Reihe seit Jahren zu einer absoluten Kultmaschine auf dem amerikanischen Prosumer-Markt hat avancieren lassen, während sie hierzulande noch immer ein nur von Kennern beachtetes Mauerblümchen-Dasein fristet. Was einen bei diesem Preis-Leistungs-Verhältnis wirklich begeistern sollte, ist die Konsequenz, mit der der solide Espresso-Würfel en detail daherkommt. Wie die großen Schwestern aus selbem Hause, setzt auch sie auf tiefere, aber schmalere 53-mm-Siebträger statt des in der Gastronomie weithin verbreiteten 58-mm-Durchmessers. Spielzeug? Mitnichten. Einmal zusammengeschraubt (ja, hier ist eine Zange gefragt …), liegen sie sogar satter in der Hand als die der Konkurrenz. Den Milchtrinker erfreut ein robustes Kippventil für den Dampfbezug und die Akribie des Freaks respektive Homebarista-Könners wird durch die über Tipptasten gradgenau und sehr intuitiv steuerbare Brühtemperatur bedient. Für den Betrieb in Büros oder Geschäften wiederum prädestinieren das Gerät ganz andere Vorzüge: Der nach Abnahme des üppig dimensionierten Abtropfbehälters nach vorne herausziehbare Wassertank etwa erübrigt mühsames Leerräumen der Tassenabstellfläche und ist wie geschaffen für den Einsatz unter Hängeschränken und in Kombination mit einer Portioniermühle dürfte die Dosierelektronik dafür sorgen, dass auch weniger Siebträger-affine Nutzer sich schnell mit dem Espressoritual anfreunden werden. Komplettiert wird all dies durch einige nützliche Zubehörartikel, die sonst in aller Regel fehlen, wie zum Beispiel zwei Ersatz-Duschsiebe, eine zweite Gruppendichtung und Spezialwerkzeug. Schade vor diesem Hintergrund, dass man das Blindsieb zur Reinigung separat ordern muss.
Von außen nach innen
Einmal aufgeschraubt, wird schnell klar, das positive Bild setzt sich im Innern nahtlos fort: sauber verdrahtete, solide gebaute Gastrotechnik, so weit das Auge blickt. Zwei elektronische Pressostaten kümmern sich um die möglichst exakte, über das Bedienfeld realisierbare, gradgenaue Steuerung der Druck- und damit auch Temperaturzustände der beiden Kupferboiler. Während der Dampfkessel mit 1,2 Litern Fassungsvermögen selbst längere Aufschäumvorgänge klaglos meistern sollte, dürfte ihn die Entnahme größerer Mengen Heißwassers indes recht rasch in die Knie zwingen. Die 0,45 Liter des Brühboilers dagegen scheinen im Dienste eines raschen Wirkungsgrades der Temperatursteuerung bei gleichzeitiger thermischer Stabilität perfekt ausgelegt.
In dieser Hinsicht ist fraglos auch die direkte Verbindung von Brühgruppe und -kessel von erheblichem Vorteil – ein Fakt, der speziell E61-Köpfe in aller Regel vor Probleme stellt, da diese ja frei liegen und somit deutlich abhängiger von der jeweiligen Umgebungstemperatur sind. (Dass der Offset-Wert vom Nutzer gleichwohl nach Gusto angeglichen werden kann, versteht sich von selbst.) Für den nötigen Druck sorgt schließlich eine standardmäßig verbaute, relativ leise Vibrationspumpe. Dennoch sollte im Zuge einer Nutzung im semiprofess- ionellen Umfeld erwägt werden, auf die unter dem Namen „Vivaldi“ erhältliche, lediglich 200 Euro teurere Schwester mit Direktwasseranschluss und Rotationspumpe zurückzugreifen. Selbige ist dann zudem auch mit einem erheblich größeren Heißwasserboiler ausgestattet.
Auf Herz und Nieren
Wasser im Tank, Stecker am Netz? Power-LED blinkt und symbolisiert Stand-by? Dann wollen wir mal. Aber Obacht: Vor der Erstinbetriebnahme eines jeden Dualboilers steht ein kleines, gleichsam wichtiges Ritual: die Erstbefüllung beider Kessel, und zwar vor dem Aufheizprozess! Hierfür verlangt die Spaziale die gleichzeitige Betätigung zweier Tasten, bis klares Wasser aus der Brühgruppe fließt. Danach noch einmal drei Sekunden auf Power gedrückt – und schon ist sie verdammt flott am Start: Nach gerade mal 5 Minuten ist der Brühboiler auf Druck, nach etwas über 10 Minuten kann man inklusive Leerbezug bereits Espresso ziehen und Milch aufschäumen. Dass uns dies beinahe auf Anhieb perfekt gelingt, ist natürlich auch ein bisschen Glück. Es fällt aber doch auf, dass der Hersteller offenbar sämtliche Werkseinstellungen hervorragend im Griff hat und man mit den vorprogrammierten 93 °C Brühtemperatur zunächst bestens zurechtkommt. Schon der erste Schuss mit der Gran Miscela kann sich optisch sehen lassen und macht – trotz latenter Unterextraktion – sogar geschmacklich Lust auf Mehr. Nach kurzer Feinjustage des Mahlgrads sowie kinderleichter Programmierung der Tassenlängen ist der zweite Shot dann der erhoffte Elfmeter: Rund und voll am Gaumen bahnt sich der Caffè in 25 Sekunden seinen Weg in die per Heißwasser vorgewärmten Tassen, gekrönt von einer wunderschön marmorierten, mindestens einen Zentimeter dicken Crema. Ein paar Testreihen mit anderen Mischungen und Röstgraden zeigen: Bereits feinste Justagen an der über eine LED-Strecke permanent angezeigten Brühtemperatur resultieren in teils erheblichen Bitter- oder Sauer-Färbungen. Man darf sich bloß nicht von den wild blinkenden Leuchten ins Bockshorn jagen lassen, wenn die Spaziale nachheizt oder der Wassertank Nachschub einfordert. Gänzlich becircen dürfte das Gerät dann die Milch-Adepten: Zwar ist die an sich frei bewegliche Dampflanze einen Tick zu kurz geraten, doch der enorme Hubraum der aufgrund ihrer Doppelboilertechnik problemlos heißer zu fahrenden „Minivivaldi“ macht mit ein wenig Übung aus nahezu jedem einen Latte-Art-Fan. In Verbindung mit dem sauber arbeitenden Kipphebel ist das Schäumen mit ihr das reinste Erdbeereisessen.
Auf einen kleinen, aber mitunter Konfusion erzeugenden Fallstrick möchte der Maschinist indes nicht versäumen, separat hinzuweisen: Zwecks Einsparung eines zusätzlichen Tasters (in der Regel der hier leider fehlende Schalter für den Dauerbezug) sowie eines mechanischen Netzschalters passiert es gelegentlich, dass man sich beim Abschalten in den Programm-modus verirrt (langer Druck auf Power bei eingeschaltetem Gerät!). Hier genügt ein kurzes Antippen desselben.
Resümee
Wer einen semiprofessionellen Siebträger sucht, der vom Fleck weg mit möglichst wenig Aufwand konsistent großartige Ergebnisse liefert, der wird die La Spaziale „Minivivaldi“ ebenso lieben wie Menschen, die dem Experiment zugeneigt sind. Einmal installiert und auf Shotlänge programmiert, ist sie nach wenigen Handgriffen betriebsbereit und sollte sich auch und gerade unter härtesten Bürobedingungen gut im Alltag bewähren. Einzig das Design bis hinab zur neuerdings zeppelinesken Gestaltung der Siebträgergriffe bleibt Geschmackssache. Würde in Bologna jetzt noch eine etwas vorteilhafter geformte Dampflanze verbaut und eine manuelle Bezugstaste integriert, wäre der Clou vollkommen. Diese Macchina ist vieles – aber keine Diva oder Drama-Queen. Wir sagen: Geheimtipp!
Für die La Spaziale S1 Minivivaldi II spricht:
- außergewöhnliches, pflegeleichtes Design
- rasche Aufheizzeit
- tolle Milchschaumqualität durch enormen Dampfdruck
- erstklassige Espressoqualität durch flexible Brühtemperatur
- robuste Technik aus der Gastronomie
- großer, von vorn entnehmbarer Wassertank (3 Liter)
- große Abtropfschale
- gutes Preis-Leistungs-Verhältnis
Steckbrief
»Maße: (Breite/Höhe/Tiefe in cm) 41,5 x 38,5 x 41,5
»Gewicht: 28 kg
»Leistung:2.000 Watt
»Kessel: 1,2 Liter (Dampf), 0,45 Liter (Kaffee)
Features
»Dualboiler-System
»elektronisch gradgenau regelbare Brühtemperatur
»elektronisch regelbarer Kesseldruck für Dampfboiler
»Doppelmanometer
»Dampfboiler bei Bedarf abschaltbar
»volumetrische Dosierelektronik
»Economy-Funktion (Betrieb bei < 1.200 W)